morschen Tür. Ein seltsamer, alter Geruch strömt zu mir, frisch und
vermodert zugleich. Sie bemerkt meine Gegenwart nicht.
„Alex, ich kann dir nur helfen, wenn du mich lässt.“ Unsanft presst sie ihren
Daumen und ihren Zeigefinger hinter die Backenzähne und zwingt den Mund,
sich zu öffnen. Verweste Zähne. Eine vergessene Zunge. „Das sieht übel aus“,
flüstert Sie. „Das sieht richtig übel aus.“ Mit der zweiten Hand tastet sie
gegen den vorderen Gaumen. „Der ist weich.“ Sie zuckt zurück. Wie lange
wird es sie brauchen, um zu begreifen, dass sie eine Leiche betastet? Eine
lebende Leiche, deren Verwesungsprozess längst einsetzte und nur von dem
gurgelnden Schicksal in Schach gehalten wird?
Als Sie mit dem Daumen hinter den Ohren entlangtastet, verrutschen sie.
„Das ist übel“, murmelt Sie. „Das ist richtig übel.“ Behutsam streichelt sie
über das Gesicht. „Wofür soll ich meinen Segen geben, Alex? Wie soll ich das
heilen? Ich kann das nicht. Ich kann das nicht mehr reparieren.“
Sie spricht zu dem Körper, der nichts mit mir zu tun hat, als dass er einst zu
mir gehörte.
„Wie groß müssen die Schmerzen gewesen sein, damit du dich aus dir selbst
befreit hast? Das sollte nicht möglich sein.“ Der Körper gibt Sie keine Antwort
und zu mir dreht sie sich nicht um. Die Zeit scheint rückwärts zu laufen,
während wir uns gemeinsam in diesem Raum aufhalten, darauf wartend,
dass ein Wunder geschieht. Wunder wurden zermalmt, als die Realität Einzug
hielt und die Träume gewissenlos zertrampelte, davon überzeugt, dass
niemand sie jemals benötigen würde. „Du
bist zersplittert“, flüstert Sie.
„Wann? Wie oft habe ich nicht mit dir gesprochen, sondern mit ihm?“ Ihr
sanftes Streicheln mag ihrer Seele die Schuld von den Schultern nehmen. Es
heilt keine Wunden. „Wärst du kein Teil der
Roten Liste, hättest du längst
sterben dürfen“, stellt sie nüchtern fest. „Ich könnte dich retten. Davon war
ich immer überzeugt. Es ist nur so viel Zeit vergangen und“, stockend stützt
sie sich mit dem Oberarm an der Wand neben dem Körper ab, „mir war nicht
einmal klar, dass du hier weiterexistierst. Jeder ist gegangen, als sich die Tore
öffneten. Sie müssen in alle Himmelrichtungen davongelaufen sein. Warum
bist du geblieben?“ Sie erhält keine Antwort. Selbst wenn ich wollte, könnte
ich sie ihr nicht geben. „Gebäude heilen
keine Menschen“, flüstert Sie. „Du
wärst da draußen gut zurechtgekommen.“
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