Schwamm Drüber


Sehr geehrte Herr Neumann  
Es muss so im September, Oktober 2017 gewesen sein, als Klein-Cel  
beschloss, dass Teltow ihr nicht mehr groß genug ist und sie jetzt eine  
Weltreise zweihundertfünfzig Kilometer weiter nördlich unternimmt. Ob  
das wirklich an der Größe Teltows lag oder eher daran, dass weder  
Berlin noch Potsdam mich als Unistädte angefixt haben, das sei nun  
einmal dahingestellt, aber wenn ihr den ein oder anderen  
Zeitungsartikel lest, dann lag mein Fortgehen an der Größe Teltows.  
Ich war aufgeregt. Natürlich war ich aufgeregt. Neue Stadt, neues  
Glück? Wenn ich von da nach Hause wollte, dann kann ich das nicht  
mit einem netten Spaziergang regeln könnte ich doch, aber lauft mal  
zweihundertfünfzig Kilometer, um euch ein paar belegte Stullen  
abzuholen und von eurem Kater ignoriert zu werden und wenn ich  
Probleme haben sollte, dann könnte Mama dafür nicht mehr  
einspringen.  
Nicht, dass Mama das oft getan hätte. Ab meinem sechzehnten  
Lebensjahr hieß es spätestens: Dafür bist du alt genug. Bedeutet: Ich  
musste allein zur Krankenkasse gehen, allein zum Arzt (Allein zum  
Arzt! Könnt ihr euch das vorstellen? Da geht es einem schon  
beschissen und dann muss man auch noch allein in diesem rotzenden,  
schniefenden Wartezimmer warten, damit der Arzt einem sagt: Ja, du  
hast Fieber. Gratulation! Das wusste ich auch schon vorher. Und was  
bekomme ich als Lohn für meine nervenaufreibenden Mühen? Eine  
lächerliche Krankschreibung und betäubende Lutschtabletten, die bei  
mir noch nie gewirkt haben.), allein überall hin! Und alles selbst regeln.  
Was im klarereren Klartext bedeutet: Wenn man sich doof genug  
anstellt, verliert Mama die Nerven und macht es selbst. Gerade wenn  
die Angelegenheit „wichtig“ ist.  
Leider bin ich ein Mensch, der in allem, was er tut, sehr ungeschickt ist  
und sich sein Stammhirn gelegentlich zum Frühstück aufs Toast  
schmiert. Leider, leider blieb also mehr an Mama hängen, als uns  
beiden lieb war. Ich wollte schließlich auch lernen erwachsen zu  
werden und sie? Sie muss irgendwann zwischen meinen  
Angelegenheiten noch meinen zwei kleinen Geschwistern erklären,  
dass sie es besser machen sollen als ich. Und Papa von der Arbeit  
abholen. Weil Papa es hasst, selbst Auto zu fahren.  
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Mit der Supermama war es allerdings vorbei, als ich zweihundertfünfzig  
Kilometer von Teltow entfernt aus dem Bus stieg, mich einmal umsah,  
mir meinen tollen Uniplanungsplan nahm und mich auf den Weg ins  
nächste, große Abenteuer machte.  
Wie bereits erwähnt: Manchmal frühstücke ich mein Stammhirn direkt  
am Tagesanfang. Als Papa also sagte: „Bereite dich gut auf den Tag  
vor“ verstand ich: „Druck halt einfach die Startseite der Uni aus“ und da  
standen einige wichtige Veranstaltungen drauf, nur nicht die, die ich  
nicht hätte sausen lassen sollen.  
Also ging ich selbstverständlich pflichtbewusst zu hilfsbereiten Studis,  
damit sie mir das Denken abnehmen und für mich meinen Stundenplan  
erstellen (jedes Semester aufs Neue eine Freude, nur kennt man mich  
dort inzwischen und ich gehe nicht mehr als Erstsemestler durch), die  
mir dann erklärten, dass aktuell die Einführungsveranstaltung für  
Geschichte läuft. Was so weit nicht tragisch gewesen wäre, hätte ich  
Geschichte nicht als eines meiner Fächer gewählt. Was so weit nicht  
tragisch gewesen wäre, schließlich wurde uns bei der  
Germanistikeinführungsveranstaltung nur gesagt, wo wir die besten  
Orte finden, um uns mit den Profs zu besaufen langweilige neunzig  
Minuten für jemanden, der sowohl Kontakte als auch Alkohol strikt und  
überzeugt scheut.  
Nur sind die Geschichtsleute, nun ja, Geschichtsleute. Sie sind völlig  
aus dem Häuschen darüber, dass soeben die Berliner Mauer gefallen  
ist der eiserne Vorhang, das Ende des kalten Krieges (was auch  
immer ein Historiker damit verbinden will) bedeutet, das Internet ist  
für uns alle Neuland. In jedem Fach schreibt man sich für seine Fächer  
online ein. Außer in Geschichte. Da steht der professorentitelschwere  
Fachbereichsleiter an der Tafel, erklärt uns, dass wir ohne die  
Beherrschung der Rechtschreibregeln nicht bei ihm auftauchen  
müssen, und verlangt von uns, dass wir uns an Ort und Stelle in  
Papierlisten eintragen.  
Selbstverständlich habe ich den Weg zu der Veranstaltung nicht  
rechtzeitig gefunden. Also hastete ich in die nächstbeste Unibibliothek  
die verfügt, anders als meine Wohnung damals, über Internet und  
schrieb eine panische Mail:  
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„Sehr geehrte Herr Neumann, ich bin dumm. Sehr dumm. Ich will  
trotzdem in Ihrem Fachbereich studieren. Bitte, bitte!“ Ungefähr so.  
Die erste Zeile exakt so. Zu meinem tiefsten Bedauern. Stress. Es war  
der große Stress, unter dem ich stand. Normalerweise hätte man mir  
auf die Finger geklopft und mich gefragt, wo ich denn bitte NICHT  
lesen gelernt habe. Aber weder Mama noch Papa waren da, also  
musste ich die Sache wohl selbst ausbaden.  
Die Antwort war sinngemäß: „Ja, dann kommen sie halt zum Neuen  
Markt und tragen sich da selbst ein. Sollte doch machbar sein.“  
War machbar.  
Was ich erst Wochen später erfahren sollte: Der Professor, den ich mit  
„Sehr geehrte Herr“ angeschrieben habe, gehört wohl zu einem der  
strengsten an der Uni. Er besteht sowohl auf seinen Professoren als  
auch auf seinen Doktortitel das Habilitiert darf der Student  
ausnahmsweise weglassen und vor allem auf eine korrekte  
Rechtschreibung, Grammatik. Und Landeskunde. Landeskunde findet  
er auch toll. Sehr toll. Mehr als toll. Überragend.  
Als ich in seiner Übung also Schwerin nach Bayern verordnete, konnte  
ich wohl glücklich sein, dass er mich nur erschießen lassen und nicht  
auch noch rädern und vierteilen lassen wollte.  
Und als ich meine zweite eMail an ihn adressierte mit einer sanften  
Besserung: „Sehr geehrter Herr Neumann“, da konnte ich mich wohl  
glücklich schätzen, das es nur zu einem sinngemäßen: „In eine  
ordentliche eMail gehören sowohl Doktor- als auch Professorentitel,  
Frau Weithaas dafür macht man doch den Scheiß!“ vor dem  
gesammelten Kurs reichte.  
Aber Schwamm drüber jeder fängt mal klein an. Und meine  
Katastrophensammlung sollte gerade erst begonnen haben.  
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Lisbeth  
Lisbeth ist eine tolle Persönlichkeit, die mir bis heute erhalten  
geblieben ist. Irgendwie muss ich mir schließlich meinen künftigen  
Hausarzt warmhalten, der höchstwahrscheinlich ins Labor abzischen  
wird und mich wieder mit den Hausärzten allein lässt, die mir bei  
vierzig Grad Fieber und Schwächeanfallen empfehlen, einfach einen  
ausgedehnten Spaziergang zu machen.  
Wenn man es ganz genau nimmt, war es hyperunwahrscheinlich, dass  
Lisbeth und ich uns überhaupt begegnen. Schließlich studiert sie  
Medizin! Ein achtenswertes Fach, in dem sie mit ihrem Abischnitt von  
0,8 gerade so zugelassen wurde. Und ich, naja, ich studiere  
Geschichte und Deutsch. Immerhin auf Lehramt, was mich davor  
bewahrt, meinen Studiengang in „Das professionelle Erlangen eines  
Taxiführerscheins“ umzubetiteln. Was für mich nebenbei eine denkbar  
schlechte Studienrichtung wäre. Schließlich meide ich nicht nur strikt  
Alkohol und Menschen, sondern auch Autos. Weil Autos böse sind und  
ich mehr Angst davor habe, bei meiner Führerscheinprüfung gegen  
den nächstbesten Baum zu fahren, als zweihundertfünfzig Kilometer  
am Stück laufen zu müssen.  
Lisbeth und ich, wir trafen uns an einem schicksalshaften Tag Anfang  
Oktober. Die Einführungsveranstaltung für alle Studierende. Oder  
besser: Wie quetschen wir eintausend Studierende in zwei Säle mit  
insgesamt fünfhundert Plätzen? Geistesblitz: Wir teilen die  
Veranstaltung auf.  
Sind wir mal ehrlich, keiner hat Lust, eine Stunde im Nieselregen  
darauf zu warten, dass einem die besten Partylocations genannt  
werden und die obligatorische Mahnung des Rektors abgehalten wird.  
Da ich wie immer notorisch eine Stunde zu früh war, musste ich mich  
nicht darum sorgen, eine Stunde im Nieselregen warten zu müssen.  
Lisbeth aber, die notorisch immer fünf Minuten vor  
Veranstaltungsbeginn eintrifft, schon.  
Ich habe also in diesem Riesensaal heldenhaft einen Platz für meinen  
Rucksack freigehalten nur nicht von der Situation überfordert sein,  
lächeln und winken, lächeln und winken! als Lisbeth in der Tür  
auftauchte, auf den Platz meines Rucksacks (ich nenne meinen treuen  
Rucksack für die folgenden Zeilen wohl besser Bert, das ist kürzer)  
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deutet und die Worte des Schreckens sagte: „Da ist doch noch etwas  
frei!“  
Ich wollte sie daraufhinweisen, dass Bert diesen Platz bereits seit  
zwanzig Minuten für sich beansprucht und es nicht sein kann, dass sie  
ihrer Menschlichkeit wegen glaubt, auf diesen Platz einen größeren  
Anspruch zu haben als Bert Mediziner halt, immer wichtiger als alle  
anderen , aber ich machte mir keine großen Hoffnungen mehr,  
nachdem Lisbeth den Appell „Brandschutz“ ignorierte, unter dem Arm  
des bedauernswerten, türstehenden Studenten durchtauchte und mich  
breit grinsend ansah.  
Ich platzierte Bert auf dem Boden und der Mediziner sich auf Berts  
Platz. Ist doch immer so. Keine Ahnung, was die für Gottkomplexe  
haben.  
Nun ja, ich hatte mir vorgenommen, dass es recht praktisch wäre, in  
einer neuen Stadt Freunde zu finden. Mehr als vier, fünf hatte ich eh  
nie an der Hand und Lisbeth lief mir geradeso in mein verzweifeltes  
Fischernetz. Also setzte ich mein breitestes Lächeln auf und bevor ich  
sagen konnte: „Hi, ich bin Spießer-Cel. Und du?“ sagte sie schon  
„Hallo, ich bin Lisbeth. Danke dass du mir einen Platz freigehalten  
hast“. Oder so. Ihr eigentlicher Dank hätte Bert gelten müssen, aber da  
Bert nur ein Rucksack ist, war er selbstverständlich sekundär.  
Da ich nach dieser Woche allerdings wirklich, wirklich Menschen  
kennengelernt haben wollte, ohne an den dämlichen  
Erstiveranstaltungen teilnehmen zu müssen, machte ich Lisbeth nicht  
auf Bert aufmerksam, sondern empfing sie mit offenen Armen. Das  
folgende Gespräch habe ich nicht mehr ganz in Erinnerung. Ich weiß  
nur noch, dass wir uns beide tierisch gelangweilt haben und ich mich  
bei unserem folgenden Spaziergang über den Campus mit meinen 1,5  
im Abi tierisch cool gefühlt habe, bis sie die 0,8 ausgepackt hat.  
Und, als hätte Lisbeth es dabei nicht belassen können, machte sie  
auch noch einen echt netten Eindruck. Einige von euch, werden sich  
nun fragen, was so schlimm daran ist, aber im Jahre 2017 habe ich  
demonstrativ jeden zehn Prozent weniger gemocht, als er es verdient  
hätte, wenn er auch nur einen Notenpunkt besser in einem Abi war,  
das ich eventuell vielleicht nicht wirklich vorbereitet habe, weil ich in  
der Zeit eventuell vielleicht die Jahreszeitentrilogie verfasst habe. Ups.  
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Lisbeth hatte ein Abidurchschnitt, der um sieben Notenpunkte besser  
war als meiner, allerdings mochte ich sie auf Anhieb mehr als alle  
Freunde, die ich bis dato hatte. Ich nehme an, unter anderen  
Umständen hätte man die Sache als Liebe auf den ersten Blick betitelt  
wären wir beide lesbisch, hätte es nicht geregnet und hätte man zu  
unserer Linken kein Beerpong am helllichten Tag gespielt , so führten  
die Sympathien allerdings nur dazu, dass wir uns zur  
Studienfinanzierung beraten ließen – „Ihr braucht schon um die  
achthundert Euro!“ und ich schaute auf meine sechshundertfünfzig  
Euro, mit denen ich schon übergut hinkam und fragte mich, was ich mit  
hundertfünfzig Euro mehr so ganz ohne Auto und Shoppingambitionen  
anstellen sollte und beide wenig enthusiastisch aus der Sache  
rausgingen. Lisbeth, weil sie kein Barfög bekommen würde (was sie  
eigentlich auch vorher schon wusste) und ich, weil ich keine Ahnung  
hatte, warum ich mit diesem Unsinn meine Zeit verschwendet habe.  
Es war allerdings, als wollte Lisbeth den Fehler mit der  
Finanzierungssitzung wieder wettmachen. Sie schlug mir vor, dass wir  
uns zum Kaffeetrinken treffen und wenn Lisbeth etwas vorschlägt,  
verdammt, dann ist das ein Befehl. Da ich allerdings ohnehin  
verzweifelt auf Freundesuche war, kam ich diesem Befehl gern nach,  
trank mit ihr Kaffee also eigentlich Tee oder heiße Schokolade und  
zeigte meine spießigste Seite. Was ich gut kann. Erschreckend gut.  
Vor allem für meine damaligen zarten siebzehn Jahre. Je eine  
Achtzigjährige im Körper einer Siebzehnjährigen gesehen? Tada!  
Aber da Lisbeth zur Toleranz erzogen wurde und, wie ich nun weiß,  
sich selbst für den seltsamsten Vogel auf der ganzen Welt hielt, konnte  
ich zumindest unter einen Aspekt meiner Erstiwochen-To-Do-Liste  
einen Haken setzen. Freunde finden? Heldenhaft gemeistert.  
Sich regelmäßig mit Freunden treffen?  
Meh. Schwamm drüber, das ist eine andere Geschichte.  
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Die Sache mit der Kursbelegung  
Uns war von erfahrenen Studis eingeschärft worden, kommen wir in  
einen Kurs nicht rein, dann sollen wir verdammt noch einmal einen  
Platz dort besetzen und erst gehen, wenn man uns an den Ohren aus  
dem Raum zieht. Und dann auch nur unter Protest.  
Meine Professorin in Linguistik hatte allerdings wohlwissentlich nur so  
viele Stühle in den Raum gestellt, wie sie Anmeldungen zugelassen  
hatte. Mit einigen anderen Erstis übte ich mich also im  
Kulleraugenmachen und wurde doch nur wieder vor die Tür gestellt.  
Keine Plätze mehr. Seht ihr? Ihr könnt es ja am Mittwoch noch einmal  
versuchen.  
Das ist das Problem mit der Uni. Da ist man motiviert und ambitioniert  
und dann kommt die Platzfrage dazwischen und schon verwandelt man  
sich in einen partysüchtigen Alkoholiker mit einer Veranstaltung pro  
Semester.  
Das konnte ich natürlich nicht zulassen. Die erfahrenen Studis hatten  
uns niedlichen Erstsemestern zwar auch gesagt, dass es nicht allzu  
schlimm sei, wenn wir eine Veranstaltung nicht bekommen. Kann man  
ja nachholen. Aber die sind ja nicht ohne Grund im Fachschaftsrat!  
Nein, die sind natürlich nicht im Fachschaftsrat, um zu helfen. Die  
sitzen im Fachschaftsrat, um sich ein zusätzliches  
Regelstudienzeitsemester zu sichern.  
Da enden?  
Wollte ich selbstverständlich nicht. Anstatt also eine ruhige Kugel zu  
schieben und den Tag zu genießen, mir anzugucken, wo ich denn  
reingekommen bin und mich ein wenig darauf vorzubereiten, machte  
ich mich an einen brillanten Plan, um doch noch in den Kurs  
reinzukommen.  
Weil wenn ich da nicht auf Anhieb reinkomme, dann ist das Studium  
gelaufen. Direkt. Auf der Stelle. Von vorn herein.  
Wie ich heute weiß, hat mir die freundliche Dame bei der  
Stundenplanzusammenstellung extra die Seminare für das zweite  
Semester in meinen Plan gelegt, damit ich mich nicht stressen muss.  
Falls ich nicht in die Veranstaltung komme.  
Hätte ich einen Blick in den Modulplan geworfen, dann wäre mir das  
eventuell vielleicht sogar aufgefallen.  
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Aber ich musste in diese Veranstaltung rein. Sonst könnte ich das  
Handtuch auch gleich schmeißen und heulend nach Hause  
zurückkehren.  
Mein ausgebuffter, im Kern brillanter Plan also?  
Mich am Mittwoch wieder mit Kulleraugen vor die Professorin stellen  
und ganz lieb Bitte, bitte sagen.  
Was ich damals nicht wusste: Es gibt so eine seltsame Nachrückliste,  
über die eigentlich die Studis nachrücken, wenn einer sich abmeldet.  
Was ich damals auch nicht wusste: Die meisten Professoren haben  
keine Lust auf diesen unnötigen Aufwand und empfangen bereitwillige  
Platzfüller-Erstis auf der Türschwelle, um das Seminar wieder  
aufzufüllen.  
Plus Minus Null. Ich lächelte unschuldig und in naiver  
Erstiverzweiflung, die Professorin grinste breit und, kleiner Spoiler,  
sollte es bald bereuen, dass sie mich in ihre Linguistikveranstaltung  
gelassen hat.  
Weil Linguistik eigentlich nur Grammatik ist.  
Und ich Grammatik liebe.  
Und einiges über Grammatik zu wissen glaube. Danke Frau  
Deutschlehrerin Klasse sieben bis zehn.  
Und ich es hasse, wenn Menschen weniger wissen als ich und sich die  
Sache deswegen unnötig in die Länge zieht.  
Und deswegen versuche ich, die Nummer abzukürzen.  
Deswegen ziele ich vielleicht darauf, dass die Antwort bald kommt.  
Sehr bald.  
Ach, dazu kommen wir später.  
Erstmal durfte das stolze Ersticel auf den frisch erschlichenen Stuhl  
huschen, das Schulzeug auspacken in bester motivierter  
Strebermanier (inklusive rotem Hefter!) und sich daran erinnern, dass  
das stolze Ersticel irgendwie immer noch nicht die Anzahl an Freuden  
ergrinsen konnte, die es wollte.  
Rückblickend muss ich extrem gruselig gewirkt haben. Breit lächelnd,  
übermotiviert Smalltalk haltend, vorbereitet wie ein streberhafter  
Einserschüler. Also genau die Person, mit der eigentlich niemand  
etwas zu tun haben will.  
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In dem Moment kam ich mir aber sehr niedlich und sehr  
zuvorkommend vor und die beiden lieben Drittsemestler zwischen mir  
müssen das gespürt haben. Sie setzten mich nämlich nicht kurzerhand  
wieder vor die Tür, sondern unterhielten sich mit mir! Über das Wetter.  
Und das Wochenende. Die eine war bei der Oma ihren Geburtstag  
feiern. Die andere hat das Semester mit einer netten Feier eingeleitet.  
Ich habe geschrieben. Weil ich gefühlt immer schreibe.  
Schreiben ist nicht unbedingt das coole Hobby, das man unter  
Germanisten oder generell Menschen an die große Glocke hängt.  
Also … ich bin ehrlich, ich weiß nicht mehr, was ich damals  
geantwortet habe. Wahrscheinlich sowas unlustiges wie: Ich war zu  
Hause und hab da meine eigene Party gefeiert. Mit mir allein. Forever  
alone. Oder so.  
Ich bin noch immer einer der komischsten Kauze überhaupt. Damals  
hatte ich nebenbei noch den Erstibonus und die „Ich bin erst  
Siebzehn“-Info (die ich, so wie ich mich kenne, niemals, niemals,  
niemals für mich behalten habe, weil, naja, ich bin toll und das muss  
wirklich jeder, jeder, jeder wissen) und rückblickend ist es das  
gigantischste Wunder, wirklich das gigantischste aller Wunder, dass  
sie bis zum Ende des Semesters neben mir blieben, weiter mit mir  
sprachen, jedes Mal aufs Neue ein nettes Gespräch begonnen und nur  
selten ihre Bücher vorgeschoben haben.  
Allerdings, ich bin ganz ehrlich, überrascht es mich auch nicht, dass wir  
danach keinen Kontakt mehr hatten. Ich habe sie nie angerufen, sie  
haben meine Nummer wahrscheinlich von vornherein blockiert und in  
meiner sozialen Unfähigkeit habe ich auch irgendwie den Moment  
verpasst, zu dem es angebracht gewesen wäre, lieb und nett und  
bescheiden zu sein.  
Aber, he, Schwamm drüber! Meinen Kurs? Den habe ich bekommen.  
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Das Steckenpony namens Grammatik  
Wenn ich was kann, dann alles, was sich um die deutsche Sprache  
dreht. Deklinieren, konjugieren, substantivieren. Aktiv, Zustandspassiv,  
Vorgangspassiv, Plusquamperfekt, Futur II. Alles kleine Winzigkeiten,  
mit denen ich mich pudelwohl fühle und die ich mit beiden Armen  
empfange und umarme.  
Da, da gab es diese eine, bemitleidenswerte Professorin, die sich  
dachte, einen süßen Ersti in ihren Kurs zu lassen, sei gut für ihr  
Gewissen und ihre Vita. Die aus dem vorherigen Kapitel. Die dachte  
sich bestimmt: Oh, schön, endlich jemand, der etwas lernen will und  
motiviert ins Studienleben startet.  
Also, ich war motiviert. Ich war sehr motiviert, vor allem, weil ich mich  
gefragt habe, was der Mist soll. Ganz viel Deutschunterricht  
aufgesplittet in seine mehr oder weniger relevanten Bestandteile.  
Deutschunterricht kann ich seit immer. Reden, toll, wurde mir in die  
Wiege gelegt. Als man mir noch die Fachbegriffe für das lieferte, was  
ich eh den ganzen Tag non stop tat, war das ein Geschenk von der  
allwissenden Deutschgöttin an mich.  
Nur leider, naja, gab es schon eine Deutschgöttin für mich. Und das  
war leider nicht die Professorin vor mir, die zu neunzig Prozent Zeug  
wiederholte, das ich bereits wusste. Was zugegeben nicht daran lag,  
dass ich auf eigene Faust massenhaft Bücher gewälzt und mich auf  
das Seminar vorbereitet hätte. Ich hatte einfach eine hammergute  
Deutschlehrerin, die mir jedes Grammatikdetail in den Verstand  
geprügelt hat, bis ich dazu in der Lage war, ihre dämlichen  
Klassenarbeiten zu bestehen. Faustregel: Macht ein Lehrer sich vorne  
lächerlich, merkt man sich den Schritt. Meine Deutschlehrerin hat sich  
in den Grammatikstunden oft lächerlich gemacht, ich habe mir das  
Zeug gemerkt, die arme, weichherzige Professorin musste das  
ausbaden.  
Wie bereits angeschnitten, wenn ich etwas weiß, gehe ich davon aus,  
dass jeder Vollidiot das weiß. Zumindest hielt das siebzehn-, bald  
achtzehnjährige Cel die Sachen so. Es zeigte sich: Nicht jeder hatte  
meine Deutschlehrerin, also saßen viele Studierende tatsächlich in  
diesem Seminar, um etwas zu lernen und nicht nur, um die Klausur  
schreiben und das Modul abschließen zu dürfen.  
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Das sah ich zugegeben nicht ganz ein. Also dass man sich damit  
aufhält, den Leuten Zeug beizubringen, das sie bereits seit der Schule  
wissen müssten.  
Wann immer also eine Frage kam, meldete ich mich. Und wenn die  
Professorin mich nicht drannahm, sondern darauf wartete, dass eine  
der Pappnasen eine Erleuchtung erlitt, naja, dann meldete ich mich,  
sagen wir, ich meldete mich etwas deutlicher.  
Man kann sich das sehr, sagen wir, sagen wir, man kann sich das sehr  
niedlich vorstellen. Weil ich ein Erstsemestler war mit sehr motiviertem  
Hefter und ausreichend liniertem Papier und Stiften und so. Breit  
lächelnd. Zumindest anfänglich.  
Ja, okay, vermutlich war ich einfach die schnipsende Pest. Sogar die  
ruhigste, liebste, knuddeligste Professorin ermahnte mich nämlich  
irgendwann mit einem heftigen „Frau Weithaas“ und damit, naja,  
wusste ich zumindest, dass ich einen winzig kleinen Schritt zu weit  
gegangen war. Eventuell. Und eventuell sollte es mich auch nicht  
wundern, dass niemand aus diesem Seminar freiwillig je wieder ein  
Wort mit mir gewechselt hat.  
Ups.  
Aber ich fand mich toll. Ich fand mich riesig, wie ich da saß, die Texte  
für den Unterricht nie las und trotzdem alles wusste, was gefragt  
wurde.  
Wow, wenn ich auf die Zeit zurückblicke, ist es ein Wunder, dass ich  
überhaupt Freunde gefunden habe. Und ich sollte nicht mehr darüber  
überrascht sein, wie tolerant die alle sind. Ich meine, es sind meine  
Freunde! Die mussten den Härtetest schon in Minute eins bestehen.  
Auf jeden Fall wickelte sich der Linguistikunterricht auf diese Weise ab.  
Ich kam knapp eine halbe Stunde zu früh. Ich stand vor dem Raum wie  
immer in der Schule und irgendwie hat der Gewohnheitsesel in mir  
noch nicht den Bogen vom Schulkorridor zum Unikorridor bekommen.  
Weil, naja, im Schulkorridor habe ich mich mit meinen Freunden  
getroffen und die Zeit tot gequatscht. Meine Freunde gehen nicht auf  
die gleiche Uni wie ich. Wenn ich also nun eine halbe Stunde zu früh  
komme, ist das keine Quatschzeit, sondern eine … naja, Quatschzeit.  
An die Decke starren. Das schwarze Brett lesen. Feststellen, dass auf  
dem schwarzen Brett das Gleiche steht wie vor zwei Wochen. Auf den  
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Boden starren. Jemanden sehen und unsicher sein, ob man grüßt.  
Sich gegen das Grüßen entscheiden. An die Wand starren. Tief  
seufzen.  
Sobald sich die Tür öffnete, ging ich in gemessenem, hastigem Schritt  
auf meinen Platz zu, setzte mich, packte mein Zeug aus und ließ den  
ätzenden Streber von Sekunde eins an raushängen. Inklusive nicht  
vorhandenem Modegeschmack, skeptischer Betrachtung der  
Kommilitonen (so das kluge, kluge Fachwort für Studis, die mit mir in  
einen Raum gesperrt wurden nach dem zweiten Semester konnte ich  
es dann auch aussprechen). Irgendwann fünf Minute vor Ernst kamen  
meine Sitznachbarinnen rein, haben sich mit mir unterhalten und dann  
habe ich die Cel raushängen lassen.  
Frage eins, Arm hoch. Frage zwei, Arm hoch. Was, die Professorin  
nimmt mich die ersten Male nicht ran? Dann ignoriere ich sie jetzt  
kopfschüttelnd und halte meine künstlerischen Zeichenergüsse am  
Seitenrand fest.  
Niemand kann ihr die Frage beatworten? Ich werfe ihr einen tiefen  
Blick zu, sie ignoriert mich. Gut, dann halt nicht!  
Ich meine, zum Schluss bin ich meistens eh rangekommen. Vor allem,  
wenn die Zweite, die echt viel wusste, krank war. Oder einen  
schlechten Tag hatte und die Professorin schon aus Prinzip ignoriert  
hat.  
Vielleicht … kennt ihr Young Sheldon? So eine seltsame Serie, die an  
die Big Bang Theory angelehnt ist. Da gibt es so einen Freak, der heißt  
Sheldon, weiß alles und macht damit seine Mitmenschen runter. Also,  
ich wusste nicht alles. Und was ich wusste, wusste ich nicht, weil ich  
ein Überflieger oder so war, sondern einfach nur, weil ich meiner  
Deutschlehrerin an den Lippen hing wie Klein-Adalbert beim kleinen  
Nick. Ne, ich war nur genauso penetrant, wenn ich etwas wusste.  
Niemand hat mich erschlagen. Aber die eine aus dem Seminar jobbt  
inzwischen nebenbei bei dem Rewe, in dem ich einkaufen gehe und  
das Seminar liegt inzwischen unübertrieben drei Jahre zurück.  
Sie tut immer noch so, als würde sie mich nicht kennen.  
Aber, Schwamm Drüber! Jeder fängt mal sozial unfähig an.  
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Vivi  
Meine Mission blieb die Gleiche: neue Stadt, neue Schule, neues Alles.  
Freunde! Wenn du nicht als die alte Katzenlady ohne Katzen enden  
willst, brauchst du Freunde.  
Sagen wir, ich schockverliebte mich kurz darauf in eine meiner  
bedauernswerten Mitstudierenden.  
Sie war eine halbe Stunde zu früh da.  
Sie hielt den Mund.  
Sie wirkte introvertierter und deplatzierter als ich.  
Okay, sie sah aus wie sechzehn und mein Ego hat meinem Verstand  
mit Harakiri gedroht, wenn ich ernsthaft eine anspreche, die jünger ist  
als ich und somit ja auch locker besser als ich sein muss in allem.  
Außerdem stank sie nach Zigaretten. Mit Sechzehn. Sechzehn!  
Bestimmt aus irgendeinem Hinterland entflohen und Dank ihrer guten  
Noten versehentlich in die Uni gestolpert.  
Nein. Nein, nein, liebes Ego, habe ich mir gesagt. Ich brauche  
Freunde. Brauche ich wirklich. Ich habe nicht mehr den Luxus, dass  
mir meine Klassenkameraden alles durchgehen lassen und sich im  
Nachhinein nur minimal beschweren. Das hier ist nicht mehr das  
Gymnasium.  
Das ist bitterer Ernst.  
Also öffnete ich mein zartes Mündlein und sagte irgendwas Eloquentes  
wie: „Hi.“  
Und da Vivi genauso verzweifelt war wie ich, tat sie so, als würde sie  
sich freuen und wir bemühten uns um eine kleine Smalltalkrunde. Bei  
der kam schnell genug raus, dass sie bereits über zwanzig ist und der  
Ego-Verstand-Konflikt löste sich in Wohlwollen auf.  
Ich meine, dass zu unserem ersten Gespräch auch celtypische Dinge  
fielen, wie beispielsweise, sagen wir wie: „Du verbietest mir jetzt aber  
nicht, Fleisch zu essen, oder?“ nachdem Vivi mir gestand, dass sie  
Vegetarierin sei.  
Ersti-Cel sagte immer, sie habe nichts gegen Vegetarier. Aber. Aber,  
aber, aber. In Gedanken ohrfeigt mein vegetarischer Popo Ersti-Cel  
einmal kurz durch und gratuliert ihr herzlich dazu, dass sie sich ins Ego  
gebissen uns Vivi angesprochen hat.  
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Vivi entpuppte sich dann leider tatsächlich als Raucherin. Das ist ein  
Kontra. Ein Kontra, das eigentlich groß genug gewesen wäre, um nie  
wieder ein Wort mit ihr zu wechseln, weil, naja, Rauch? Stinkt?  
Ungesund? Hässliche Zähne? Stinkt? Stinkt? Stinkt? Bäh???  
Aber Vivi entpuppte sich auch als cleveres Kerlchen, das sich so  
stellte, dass mir der Wind den widerlichen Qualm nicht ins Gesicht  
blies. Gelang ihr nicht wirklich, also weiterhin ein großes Kontra.  
Allerdings bemühte sie sich. Sie bemühte sich und hörte zu und hasste  
mich nicht nach fünf Minuten und blieb meine Sitznachbarin und geht  
immer noch mit mir spazieren und sie hasste mich nicht!  
Gut, Freundin Nummer zwei war adoptiert.  
Leute, so schnell geht das! Seid sozial unfähig. Schraubt eure  
Ansprüche ganz nach oben. Irgendwen gibt es immer, der Mitleid mit  
euch hat und zerknirscht lächelnd vorgibt, ihr durftet ihn adoptieren.  
Am gleichen Tag traf ich übrigens eine andere Kommilitonin wieder.  
Die liebe Julia, die ich bereits bei einer der ersten Veranstaltungen  
getroffen hatte. Eine von dem „Ich habe meinen Stundenplan zehn  
Wochen vor Studienbeginn fertig“-Schlag. Finde ich gut. Wirklich.  
Diese Menschen haben alle Termine im Kopf und ich muss mich nicht  
selbst in diese nervigen Details knien wie: Wann muss ich mich für die  
Prüfungen anmelden? Welche Professoren sollte man meiden? Oder –  
welche Module muss ich überhaupt belegen?  
Julia war ein Schätzchen, das mir leider recht früh an eine  
Bankkauffraukarriere verloren gegangen ist.  
Vivi bleibt mir weiter erhalten. Vivi, die Angst hatte, dass, wenn sie  
einmal eine Vorlesung schwänzt, von der Uni fliegt. Vivi, die vom Dorf  
kommt und ein Straßenschild durch ihr halbes Bundesland geschleppt  
hat und da keine Angst hatte, dass man sie hinter Gitter schiebt. Vivi,  
die mehr liest, als ein normaler Mensch lesen können sollte.  
Ne, im Ernst, noch einmal zurück zu dieser wirklich, wirklich  
irrationalen Vorlesungssache. Vielleicht habt ihr schon einmal  
gesehen, dass ein armer Prof vor einem Saal mit zwanzig Studis seine  
Vorlesung hält. Kleiner Wink am Rande: Wenn ein Zehntel der in die  
Vorlesung eingeschriebenen Studierenden sich die Vorlesung  
tatsächlich bis zum Schluss gibt, dann ist das gut. Dann ist das ein  
Kompliment für den Prof. Unironisch. Weil die Vorlesungen, das sind  
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halt zumeist die Füllveranstaltungen. Die muss man halt reinlegen, um  
das Modul abschließen zu können. Manchmal fällt da versehentlich ein  
Seminar mit rein und manchmal, tja, manchmal ist es halt auch einfach  
egal. Ganz ehrlich: Wenn du die Wahl zwischen einem Prof hättest, der  
die ersten dreißig Minuten von neunzig Minuten dazu nutzt, die  
Weltgeschichte zu wiederholen, die er uns das letzte Mal mit  
zahlreichen Wiederholungen aufgetischt hat, und einer niedlichen,  
flauschigen Katze, die in deinem Bett liegt und mit dir Serien schaut,  
glaub mir, auf Dauer bist du für die Katze. Selbst wenn du gar keine  
Katze besitzt, sondern nur ein Bett und ein internetfähiges Gerät.  
Niemand, wirklich niemand hört sich an, wie ein Prof wiederholt, was er  
die letzten Male wiederholt hat, wenn er sich einfach die Folien  
durchlesen kann. Oder die Möglichkeit hat, alles zu ignorieren, was an  
Informationen über ihm ausgeschüttet wird, weil das Zeug eh nichts  
prüfungsrelevant ist.  
Gut, das war gelogen. Es hören sich Menschen an. Bis zum vierten  
Semester auch sklavisch ich. Da sind dann in der Sitzung vor  
Weihnachten halt nur zwei von zweihundert Studierenden  
übriggeblieben, aber, he! Bis zu meinem vierten Semester habe ich die  
Professoren glücklich gemacht und danach, danach habe ich  
angefangen vorbildlich zu studieren und nur noch zu den Vorlesungen  
zu gehen, die echt gut sind.  
Vivi hat dieses Prinzip noch nicht ganz durchdrungen gehabt bis … zu  
Semester sechs? Natürlich sagen die älteren Studis immer einige  
Sachen und unterbreiten uns Tipps, aber, ganz ehrlich? Ich habe den  
auch nicht geglaubt, also verstehe ich Vivis Panik immer noch nicht.  
Dass sie exmatrikuliert wird. Weil sie einmal gefehlt hat. In einer  
Veranstaltung ohne Anwesenheitspflicht. Bei einem Prof, der keine  
Ahnung hat, wer sie ist.  
Aber es war niedlich. Und eine schöne Anekdote, die ich ihr bei jedem  
zweiten Spaziergang grinsend unter die Nase reiben kann. Egal, ob es  
sich gerade anbietet oder nicht.  
Außerdem, Schwamm drüber, kommt schon! Die inneren Werte  
zählen. Nicht die irrationale Angst vor dem Fehlen in Vorlesungen.  
(Fehlen in Vorlesungen. Nicht vor den Vorlesungen selbst, sondern vor  
dem Fehlen. Mir fällt gerade nur auf, dass meine Freunde genauso  
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hirnverbrannt sind wie ich. Egal. Was habe ich erwartet?  
Weitermachen!)  
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Der Glanz des Studentenlebens  
„Studienjahre sind keine Herrenjahre“, sagen meine Eltern immer und  
ich habe das ja mal sowas von extrem verinnerlicht.  
Studienjahre sind keine Herrenjahre. Gut, dann gehe ich meine  
Aufzeichnungen halt noch einmal durch. Liebe Wand, bist du nun  
zufrieden mit mir? Du sagst nichts, das werte ich als ein Ja.  
Studienjahre sind keine Herrenjahre. Gut, dann lasse ich halt den  
schönen Käse liegen und tausche ihn gegen Gouda. In Scheiben. Von  
der Billigmarke. Mit Cocktail-Tomaten, weil sie im Angebot sind! Und  
Nudeln. Und Nudeln, damit ich mir den übrigen Monat noch das  
Wasser leisten kann. (Ganz so schlimm war es nicht, aber annährend.  
Sparen ist besser als Geld auszugeben, also Nudeln an die Macht!)  
Studienjahre sind keine Herrenjahre. Gut, dann spare ich die nächste  
Party halt aus. Und die übernächste auch. Ich habe mir immer  
geschworen, dass ich einmal auf eine Party gehen kann, um meinen  
Schülern später überzeugt sagen zu können: Das ist bäh, das müsst  
ihr nicht machen. Sehr doof alles, sehr doof. Aber zugegeben, wenn  
mich Julia dann gegen halb acht anschrieb und fragte, ob ich Lust  
hätte, rumzukommen, lag ich bereits mit meinem Pyjama im Bett und  
wollte gerade die Musik ausmachen. Nach um sieben aus dem Haus?  
Hallo? Habt ihr alle Lack gesoffen? Was soll ich da denn machen?  
Mich besaufen und Kontakte knüpfen? Julia hatte meine Einstellung  
glaube ich nie so richtig verinnerlicht: Drei Freunde sind drei genug.  
Jeder mehr sind noch mehr soziale Verpflichtungen, denen ich eh nicht  
nachkomme. Weil ich eine Weinbergschnecke mit  
Minderwertigkeitskomplexen bin.  
Im Ernst, es gab einige Phasen während der ersten Semester, da  
waren meine Pickel das Selbstbewussteste an mir, während ich  
versucht habe, irgendwie herauszubekommen, wie meine  
Kommilitonen so funktionieren.  
Wie genau sie ticken, habe ich zwar immer noch nicht rausbekommen,  
aber Alkohol kann nützlich sein. Das habe ich mir stecken lassen.  
Wo waren wir?  
Genau. Studienjahre sind keine Herrenjahre.  
Studienjahre sind keine Herrenjahre! Kantine zu teuer, ich koche  
selbst. Gefällt mir gut. Nudeln mit Nudeln und Nudeln. Und Pesto! Aber  
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nur, weil heute Sonntag ist. Ein Büchlein für die Uni und viele Stunden  
für mich. Studienjahre sind keine Herrenjahre. Aber perfekt, um sich  
spießig und langweilig an seinen Tisch zu setzen, den Dinosaurier  
namens Laptop aus der Tasche zu kramen, und so zu tun, als könne  
man ein Buch schreiben. Oder auch neununddreißig.  
Das mag nach einem verdammt schlechten Witz klingen, aber ich war  
glücklich, sobald der Laptop hochgefahren war und ich mich mit  
Dingen auseinandersetzen konnte, die ich verstand.  
Mein Tagesablauf? Früh um fünf aus dem Bett rollen und nickend aus  
dem Fenster gucken. Schön, die Welt steht auch noch. Super. Klingt  
nach Linguistik. Cool. Duschen, damit ich die Leute nicht wortwörtlich  
anstinke, ein paar Seitchen schreiben, viel zu früh aus dem Haus  
gehen, Uni, den langen Weg nach Hause nehmen, rein in mein  
Zimmerchen und schreiben. Manchmal wurde ich von unangenehmen  
Momenten unterbrochen wie: He, wollen wir uns mal treffen?  
Und da Freundschaften gepflegt werden müssen, ließ ich mich einmal  
pro Monat dazu herab, mich mit Lisbeth zu treffen.  
Bezüglich dieser Freundschaftssache waren Julia und Vivi beide  
deutlich entspannter. Den genügte die Uni. Mit Julia ging ich nach jeder  
Veranstaltung eine Runde spazieren und Vivi war wie ich: Husch und  
weg. Bloß nicht mit mehr Menschen sprechen als unbedingt  
notwendig. Und, verdammt, das ist eine ihrer Wesenszüge, die ich  
immer noch am meisten mag. Man sieht sich vier Monate lang nicht,  
aber das ist kein Ding. Wir beide haben das gemacht, was wir halt  
gemacht haben, dann trifft man sich auf einen stundenlangen  
Spaziergang und quatscht über Gott, die Welt, die Wirtschaft, Schule,  
Uni, die verdammte Wirtschaft, die verdammte Politik, die Welt, Uni,  
Haustiere Vivi hat einen niedlichen Kater mit Alkoholikernamen, er ist  
einfach niedlich! sie spricht ein wenig über ihr Privatleben und ich  
erzähle von meinen Haustieren in Teltow. Perfekt. Keine  
Notwendigkeit, irgendwie persönlich zu werden oder persönliche  
Sachen rauszukramen. Einfach nur toll.  
Lisbeth braucht den sozialen Kontakt etwas mehr. Was okay war. Auch  
damals. Dann habe ich halt noch zwei Stunden länger jemanden  
gesehen. Auch nur ein Uniblock mehr namens „Sozialkompetenz“. Das  
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Fach, in dem ich vermutlich immer noch ein Ungenügend bekommen  
würde.  
Obwohl, ich sollte nicht so hart mit mir sein. Ein fast ausreichend sollte  
bei der Sache inzwischen schon rumkommen.  
Studienjahre sind keine Herrenjahre. Wir haben uns also gegen die  
teuren Spielereien entschieden und wenn Lisbeth, Julia oder wer auch  
immer schon zum Bäcker mussten, gab es halt Tee für mich. Wann  
immer man sich mit mir traf und trifft, ging es auf einen ausgedehnten  
Spaziergang. Ich bin einer dieser Freaks, die es hassen, Menschen in  
ihrer Wohnung zu haben. Vielleicht, weil sie wegen einiger Notizen an  
den Wänden etwas schizophren auf andere Menschen wirken könnte,  
vielleicht auch einfach nur, weil meine Wohnung meins ist und meins  
meins ist und in meins niemand reinkommt. Man stelle sich an dieser  
Stelle eine wütend fauchende Katze vor. Und weil ich es hasse,  
jemanden in meine Wohnung zu lassen, wurde die Sache halt ziemlich  
deutlich. Spazieren gehen. Bei den anderen treffen. Kino. Manchmal  
ging es auch ins Kino, weil das Kino schon cool ist. Spazieren gehen.  
Und, naja, Spazieren gehen.  
Ich glaube, die ambitionierten, extrovertierten Studierenden weinen  
hören zu können. Mensch, Leuts, danke für euer  
Einfühlungsvermögen, aber, ehrlich, das Einzige, was mich am  
Studentenleben interessiert hat und interessiert, sind die Sachen, die  
man mir beibringt, und die stillen Stunden danach. Partys? Ich glaube,  
ich würde einen Piepmatz bekommen. Wenn jemand in meiner Nähe  
zu laute, zu stressige Musik abspielt, bekomme ich einen Piepmatz.  
Aber, Schwamm drüber, auch als Neunzigjährige im Herzen geht das  
Leben weiter.  
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Allgemeinwissen  
Wer mich kennt, weiß, ich habe Ahnung. Viel Ahnung. Vorausgesetzt,  
mich interessiert, worüber gesprochen wird. Was auf weniger Bereiche  
zutrifft, als mir lieb ist. Wirtschaft finde ich toll. Psychologie, wundervoll.  
Weltgeschichte, ein Träumchen! Ich kann sogar die US-  
amerikanischen Präsidenten seit Roosevelt lückenlos aufzählen.  
Die zwei Weltkriegskandidaten Roosevelt und Truman. Dann kommt  
Eisenhower an den Füßen, Kennedy am Schienbein, Johnson auf den  
Oberschenkeln, Nixon an der Gesäßtasche, Ford am Bauch, Carter an  
der Brust, Reagan an den Schultern, Bush am Hals, Clinton an den  
Lippen, Bush auf dem Kopf, Obama als Mütze, Trump als netter  
Einschnitt am Rande und Biden als, naja, frisch im Amt.  
Das ist so das, was ich unter Allgemeinwissen verstehe. Oder dass  
Nixon seine Kandidatur gegen Kennedy auch so krachend verloren  
hat, weil er sich sein Knie unbedingt an der Autotür anhauen musste  
während seiner Promotour, deswegen eine Weile im Krankenhaus lag  
und so fest davon überzeugt war, dass er jeden Staat besuchen muss,  
dass er zu der entscheidenden Zeit im drei Wahlmänner starken  
Alaska festsaß, während Kennedy die guten Staaten eintütete.  
Wenn jetzt aber wirklich Allgemeinwissen abgefragt wird, ist man bei  
mir an der falschen Adresse. Wo liegt Schwerin? Woher soll ich das  
wissen? Sehe ich aus wie ein Atlas?  
Was würdest du als informierendes Gespräch bezeichnen? Öhm,  
vielleicht ein Gespräch, das informiert (kleiner Tipp am Rande, zumeist  
ist das nicht der Satz, den man hören will, wenn diese Frage gestellt  
wird).  
Wo wächst eine Ananas? Nicht unter der Erde. So viel ist sicher. Aber  
einen Baum traue ich ihr irgendwie auch nicht ganz zu. Der tägliche  
Verzweiflungsmarsch.  
Warum ich das jetzt aufführe?  
Naja, die Uni geht davon aus, dass man Allgemeinwissen besitzt. Da  
ist es zwar schön, dass ich begeistert erzählen kann, wie Trotzki und  
Stalin sich nach Lenins Arbeitsunfähigkeit in einen wundervollen  
Stellenbewerbungskampf gestürzt haben, aber im Endeffekt  
interessiert es halt zumeist doch eher keinen.  
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Man fragt so dumme Sachen wie: Wer waren die Karolinger? Woher  
soll ich das bitte wissen?  
Was hat Kafka alles geschrieben? Bücher. So viel weiß ich. Toll. Und  
jetzt?  
Wann ist Brecht gestorben? Vermutlich am Tag seines Todes.  
Alles Antworten, die man wohlweißlich für sich behalten sollte und die  
ich auch bald gewaltsam heruntergeschluckt habe, selbst wenn man  
mich rangenommen hat und mit einem meiner seltenen, zum Thema  
passenden Ergüsse gerechnet hat.  
Behaltet dumme Antworten auf, wie ihr denkt, dumme Fragen einfach  
zurück. Es interessiert keinen. Es lacht auch niemand. Ihr seid einfach  
nur der Arsch vom Dienst und besteht zwar alles sehr, sehr gut, aber,  
naja, ihr nervt halt trotzdem.  
Wenn ihr allerdings garantieren wollt, dass ihr diesen Kurs nie wieder  
belegen müsst, egal wie eure Prüfung ausgeht, nervt so gut ihr könnt.  
Wenn der Prof euch genug hasst, werdet ihr bestimmt einfach  
durchgewinkt. Denke ich mir so. Weil, naja, ich befürchte schon, dass  
einige von denen recht froh waren, mich und mein fehlendes  
Allgemeinwissen los zu sein.  
Wann kam Hitler an die Macht? Nachdem er von der Kunstschule  
abgelehnt wurde und es immer noch nicht ganz verarbeitet hatte, dass  
der erste Weltkrieg vorbei war, in dem er heldenhaft als Postbote  
verkehrt hat.  
Interessante Infos am Rande, aber eigentlich halt nicht relevant.  
Wann traten erstmals weibliche Eiskunstläuferinnen an? Keine  
Ahnung. Aber wussten Sie, dass die Männer Angst hatten, die Frauen  
würden aufgrund ihrer Oberweite umkippen?  
Mein Hirn ist ein seltsames Ding. An sich gut sortiert, aber recht  
unbegabt darin, sich die wichtigen Sachen zu merken. Wichtig?  
Jahreszahl. Unwichtig? Der Sonnenkönig hat sich alle Zähne ziehen  
lassen, um keinen Mundgeruch zu haben. Dabei wurde ihm  
dummerweise die Gaumenplatte zur Hälfte mit rausgerissen und er  
hatte bis zum Ende seiner Tage furchtbaren Mundgeruch, weil sich die  
alten Essensreste auf den Gaumenplattenresten abgelagert haben.  
Wichtig? Kafka hat den Prozess geschrieben. Unwichtig? „Durch den  
Kakao gezogen“ kommt ursprünglich aus der Zeit des dreißigjährigen  
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Krieges und hieß eigentlich „Durch die Kacke gezogen“. Was der  
ganzen Sache noch eine ganz neue Nuance verleiht.  
Studieren ist toll. Wirklich. Das Doofe ist, dass die Wichtigen Dinge  
abgefragt werden und nicht die Unwichtigen. Ihr könnt euch ungefähr  
vorstellen, was mein Hirn in sich aufgesogen hat und ihr könnt euch  
ungefähr vorstellen, was abgefragt wurde.  
Es ist eigentlich ein Wunder, dass ich nur eine Klausur wiederholen  
musste und alle anderes ziemlich gut ausgegangen sind. Weil ich bei  
den meisten anderen Klausuren auch immerhin eingesehen habe,  
wozu ich das lerne: um mich selbst zu unterhalten.  
Wichtig? Schwamm drüber. Unwichtig und unwitzig? Ich kann gar nicht  
schwimmen. Ha! Haha! Hahahahahahahaha!  
Ja, okay. Ich hör auf mit meinen schlechten Witzen. Die kann eh keiner  
mehr hören.  
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Party at the rich dudes house  
Studierende feiern immer. Mag ein Vorurteil sein, ist aber in den  
meisten Fällen nicht ganz falsch. Angenommen wir wurden also in  
Gruppen aufgeteilt und man war fertig, wurde es ein wenig peinlich,  
sobald man versuchte, in die seichten Smalltalk-Gewässer zu tauchen.  
„Was hast du am Wochenende gemacht?“  
„Nichts.“  
„Ich habe mich mit Freunden getroffen.“  
„Cool.“  
„Wir waren im Bunker?“  
„Warum wart ihr in einem Bunker?“  
„Das ist ein Club.“  
„Ah. Klingt sehr interessant.“  
„Und was hast du gemacht?“  
Bücher geschrieben, Unizeug durchgelesen, einige Spaziergänge  
absolviert, mich gefragt, warum meine Wände weiß sind, Bücher  
geschrieben, mir gewünscht, ich wäre weniger sozial unfähig.  
„Nichts.“  
„Welche Serie?“  
„Was?“  
„Welche Serie hast du geguckt?“  
„Ich gucke keine Serien.“  
„Hast du ein Buch gelesen?“  
„Nein.“  
„Ah.“  
„Ah.“  
„Und sonst so?“  
„Nichts. Und bei dir so?“  
„Ja. Auch nicht viel.“  
„Schön.“  
„Ja. Schon toll.“  
„Ja.“  
„Warum bist du hier?“  
„Ich studiere.“  
„Ich auch.“  
„Was studierst du?“  
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„Lehramt. Und du?“  
„Ja. Ich auch.“  
„Deswegen haben wir ja auch dieses Seminar gemeinsam.“  
„Ja.“  
Und dann kam endlich jemand und hat die Gruppenarbeit beendet.  
Gott sei Dank! Normalerweise ging das Reden ganz leicht. Ich habe da  
gefeiert. Ich da. Woah, cool, Schaum und Lichter! Ja, voll der  
Wahnsinn. Hast du gesehen, was der und der gemacht hat und wie der  
und der sich gestellt hat und was da und da passiert ist?  
In jedermanns Leben ging richtig was ab und bei mir? Bei mir stand  
das monatliche Treffen mit Lisbeth bald wieder an.  
Klingt trauriger, als es war. Ich hatte meine Ruhe und konnte mich an  
das Zeug hängen, das mich interessiert, mich das Zeug reinlesen, das  
mir was gibt, und musste bei dröhnender Musik keine Angst haben,  
dass mir die Ohren abfallen. Auf meinen Spaziergängen hatte ich  
meine Musik und habe die Geschichte in Gedanken weitergesponnen.  
Sobald ich zu Hause war, wurde es aufgeschrieben.  
Blöd wurde mein etwas eigenbrötlerischer Lebensstil halt erst, wann  
immer man sich unterhalten wollte. Irgendwann bekam ich den Bogen  
raus und fing an über meine Haustiere zu quatschen oder irgendwas  
anderes Unverfängliches. Manchmal habe ich aus meinem  
Schreibwochenende ein Quatschwochenende gemacht und vielleicht  
die ein oder andere Buchsituation umgebügelt und die Figuren anders  
benannt und ein bisschen unverfänglichen Kram aus meinem aktuellen  
Projekt erzählt und es als mein Leben ausgegeben.  
Ich muss gestehen, ich hätte mich lieber in zehntausend Gespräche  
dieser Art verwickeln lassen, als nur einmal auf so eine Party gehen.  
Bei einem netten alkoholfreien Cocktail breitete Lisbeth nämlich vor mir  
die Erfahrungen ihrer ersten Party aus. Laut. Sehr laut. Trotz  
Ohrstöpsel. Sehr, sehr laut. Nicht einmal richtig unterhalten konnte  
man sich!  
Was man zu Lisbeth wissen muss: Reden ist wichtig. Mehr ist mehr  
und länger ist länger. Sie ist auch einfach jemand, der unglaublich  
amüsant erzählen kann. Ich glaube, sie ist die einzige, die die  
Beerdigung ihrer Großeltern so umschreiben könnte, dass jeder sich  
vor Lachen in die Hosen macht. Weil sie die Sachen einfach so schön  
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trocken und im Loriot-Stil umschreibt. Frei nach dem Motto: „Das Ei ist  
hart.“  
„Aber es hat genau fünf Minuten gekocht!“  
Das Studileben hat halt zwei Seiten. Die Seite, die man zum Lernen  
nutzen darf, und die Seite, die man für zwischenmenschliche  
Interaktionen verwendet. Wie euch jeder aus meiner Grundschulzeit  
und Gymnasienzeit bestätigen wird: ich bin zwischenmenschlich  
begnadet wie eine überfahrene Ratte, mit deren Kadaver man vor  
fremden Nasen herumwedelt.  
Aber, Schwamm drüber! Bliblibla!  
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Schon süß. Irgendwie  
Eventuell war ich im ersten Semester kurzzeitig verknallt in meinen  
Tutor. Nicht, dass das an sich aufregend wäre. Ich bin niemand, der  
dann sagt, ich find dich toll, lass uns was Trinken gehen. Ich bin eher  
jemand, der die Person dann nicht mehr ansehen kann, weil er sich  
fragt, welche biochemische Reaktion da eigentlich gerade schiefläuft  
und womit genau ich das verdient habe.  
Der Tutor hat mich eventuell vielleicht ein winziges Bisschen an eine  
meiner Buchfiguren erinnert. Timothy. Und wer mir manchmal beim  
sinnlosen Labern zuhört, weiß, dass, wenn überhaupt Timothy die  
Buchfigur wäre, mit der ich mich freiwillig treffen würde.  
Dass Buchfiguren Buchfiguren sind, das ist mir schon klar. Ich bin ja  
nicht ganz so durchgeknallt, wie mein Zimmer eventuell vielleicht  
vermuten lassen würde. Ich habe die Tortur trotzdem für geschlagene  
fünf Sitzungen über mich ergehen lassen müssen. Danach hat er  
durchblicken lassen, dass er eigentlich relativ dämlich ist, und die rosa  
Seifenplatze hat endlich auf meine „bist du denn irgendwie  
bescheuert?“-Nadel reagiert und ist brav zerplatzt.  
Keine Ahnung, womit genau dieser Anflug von Teeniehaftigkeit  
zusammenhing. Vielleicht, weil ich in eine neue Stadt gezogen war und  
jedes kitschige Buch uns nahebringt: Hallo, da wartet die große, große  
Liebe auf dich. Vielleicht auch, weil mir gedroht worden war, dass man  
eine Zeitungsannonce startet, wenn ich mit achtzehn noch keinen  
Freund habe oder vielleicht auch einfach, weil ich tierisch angespannt  
war.  
Dieses Studium in einer völlig anderen Stadt war meine größte  
Herausforderung an mich selbst. Auf geht es in das, wovor ich am  
meisten Angst habe. Weil, naja, Ängste sind dafür da, dass man sie  
überwindet. Und überwinden, wollte ich diese Angst vor dem Neuen  
unbedingt.  
Ich bin diese Art Freak, die immer alles gleich macht. Immer in den  
gleichen Mustern. Ich habe zwei Jahre gebraucht, um mich daran zu  
gewöhnen, dass ich meinen Klavierhocker an das Klavier stellen soll.  
Zwei Jahre! Andere brauchen da ein Achselzucken und zwei Sekunden  
für.  
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Und wenn ich eh schon alles umschmeiße, was ich kenne, kann ich ja  
auch einen seltsamen Typen anhimmeln, der mehr oder weniger  
motiviert das Tutorium leitet und seltsame Kennenlernspielchen mit  
uns spielt.  
Findet euch nach Interessen zusammen.  
Lesen? Joa, kann man machen, muss man aber nicht.  
Feiern? Bäh, weiche von mir Dämon!  
Sport? Ich bitte euch, als sähe mein Spaziergängerpopöchen aus, als  
könne es mehr verkraften als die Ergotherapie eines Fünfzigjährigen.  
Nur fürs Protokoll: Den Typen fand ich halbwegs süß, seine Ideen  
nicht. So gar nicht. Ich stand dann mit den anderen vier Freaks in einer  
Ecke. Das Hobby des einen war, dass er mit einem Metalldetektor über  
das Feld nebenan stromert und auf den großen Fund hofft.  
Die anderen hatten, genau wie ich, demonstrativ keine Hobbies.  
Vivi war mir fremdgegangen und hat sich bei den Lesern angebiedert.  
Wie konnte sie nur? Dann musste ich die darauffolgende Aufgabe mit  
den anderen „Wie haben keine Hobbies und sind langweilig“-Leuten  
zusammen machen!  
Eine Bibliographie. Einige von euch werden das vielleicht genau wie  
ich in der Schule gelernt haben. So ein dämliches Literaturverzeichnis  
musste ich für meine fünfte Abiturleistung oder auch Seminararbeit zu  
dem Thema „Wie sich die kokainhaltige Kur gegen Robert L.  
Stevensons fortgeschrittene Tuberkulose in seinem Roman ‚Dr. Jekyll  
und Mr. Hyde‘ niederschlug“ (Nur am Rande: das genialste Thema  
überhaupt. Weil dazu noch niemand explizit geforscht hat, musste ich  
weder eine Befragung durchführen noch ein dämliches Interview und  
konnte einfach eine halb motivierte Textanalyse hinlegen. Kleiner Tipp  
an alle: Denkt euch einen langen Titel zu einem Thema aus, das  
eigentlich niemanden interessiert, dann macht ihr euch das Leben so,  
so, so viel einfacher!) bereits anlegen. Wir wurden da in der Sek II  
gnadenlos durchgeprügelt.  
Aber die Uni holt jeden ab, wo er ist. Und die Historiker zweifeln genug  
an dem Verstand der Erstis, dass sie die bibliographischen Faustregeln  
nicht nur im Grundkurs in ihre Studis reinhämmern, sondern auch das  
Tutorium verpflichtend machen. Damit wir unseren Mittwochabend von  
17:15 bis 18:45 damit verschleudern dürfen, Autorennamen, Buchtitel,  
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Verlage, Orte und Jahreszahlen aneinanderzureihen, nur damit einem  
zum Schluss gesagt wird: Die Zeichensetzung ist eigentlich egal,  
Hauptsache, ihr macht immer den gleichen Fehler im gleichen Muster.  
Dann winken die Profs das schon durch.  
Danke für Nichts.  
Und übrigens, danke dafür, dass du meine „Das ist doch echt  
bescheuert“-Nadel durch die rosa Blubberblase hast platzen lassen.  
Da wird mir stundenlange „Auf den Schlaf vorbereiten“-Zeit geraubt,  
damit mir gesagt wird: Joa, macht doch, wie ihr wollt?  
Uni. Das, liebe Leute, das ist die Uni. Die Uni ist toll. Die Uni macht  
Spaß. Sie vermittelt euch ganz, ganz viel. Zum Schluss sagt sie euch,  
dass es eigentlich echt egal ist, was ihr gelernt habt.  
Das ist toll. Das ist ganz, ganz toll.  
Immerhin, in dem Tutorium habe ich auch einige wirklich, wirklich  
wichtige Dinge gelernt.  
Erstens: Nur, weil er nett lächelt, ist er definitiv nicht mein Freund in  
Spe.  
Zweitens: Wer in einen Kurs will, bleibt einfach sitzen und steht so  
lange in der Tür, bis man ihm droht, ihn zum Rektor zu zerren.  
Drittens: Wer so doof ist, ohne Altklausuren zu lernen, ist selbst schuld.  
Viertens: Wer so doof ist, nur mit Altklausuren zu lernen, ist selbst  
schuld.  
Fünftens: Wer die Uni zu ernst nimmt, hat irgendwas im Leben  
grundlegend missverstanden. Derjenige, der am besten diskutiert, hat  
gewonnen. Und derjenige, der abnickt und lieb ist, naja, wahrscheinlich  
wird er bestehen.  
Irgendwie.  
Vermutlich.  
Gehen wir von aus.  
Weil, naja, es geht ja auch um Leistungen und nicht nur um, naja,  
Starrsinn.  
Cleveren Starrsinn.  
Die Form des Starrsinns, die mein Hirn noch immer nicht kapiert hat.  
Das ist starrsinnig starrsinnig und hält es für lobenswert, elf Stunden  
für die Fußnoten gebraucht zu haben.  
Weil viel Arbeit ist ja gut und nicht dumm.  
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Nicht nur unnötig dumm dumm.  
Schwamm drüber.  
Wenn wir jetzt anfangen, starrsinnig und dumm definieren zu wollen,  
wird da eine Romanreihe draus, die niemand lesen will.  
Mit ganz, ganz vielen starrsinnigen und dummen Gedanken.  
Ahhh! Klappe. Reicht. Bring mich nicht auf so doofe Ideen, Hirn.  
Klappe over und Klappe out.  
29  
Such dir einen Job, Mädel  
Jeder, der von den Eltern zu so einer dämlichen Sache aufgefordert  
wurde, weiß, dass ein großer Unterschied zwischen einen Job suchen  
und einen Job finden besteht.  
Einen Job gesucht, das habe ich pflichtbewusst von Minute eins an.  
Aber wie sich gezeigt hat, bin ich selbst zu doof, um bei Dm die Regale  
einräumen zu dürfen. Also habe ich die Sache vorerst deprimiert ruhen  
lassen, beschlossen, dass ich mit meinen Büchern einen gigantischen  
Durchbruch haben werde, ohne sie zu veröffentlichen, und dass ich  
mein Unizeug einfach eine Stunde länger pflichtbewusst in Grund und  
Boden starre.  
Das Ding ist halt, dass man einen Job nicht findet, wenn man  
beschließt, dass das alles doof ist. Also habe ich mein Fähnchen im  
Januar oder Februar noch einmal gehisst, habe tief eingeatmet, eine  
lieblose Bewerbung abgeschickt und damit gerechnet, dass man  
überqualifizierter Lebenslauf wieder ignoriert wird.  
Mein überqualifizierter „Hallo, ich habe ein Abi“-Lebenslauf. Bitte  
lassen Sie mich Brote belegen!  
Naja, trotz fehlendem Motivationsschreiben (Was soll ich da bitte  
reinschreiben? Hallo, ich finde es sehr faszinierend, meine Miete  
bezahlen zu können und kann es deswegen kaum erwarten, Menschen  
ihre Brote zu schmieren, da sie offensichtlich weder Messer noch Brot  
zu Hause haben? Da hätte man mir garantiert wieder gesagt, ich sei  
bissig und ganz und gar nicht lustig und so.) ereilte mich ein  
wundervoller Anruf, während ich in der Heimat saß. Komm mal und  
stell dich vor.  
Ja, genau, komm mal und stell dich vor. Wir wollen sehen, ob du zwei  
Hände und zwei Beine hast.  
Also, gesagt getan, und obwohl ich diese Zeilen mit einer  
demonstrativen Demotivation verfasse, habe ich mir damals ein  
nervöses Loch in den Bauch gefreut. Mama, ich habe ein  
Vorstellungsgespräch. Vielleicht habe ich bald einen Job.  
Kreischanfall!  
Begeisterungsstürme, Konfetti, das von der Decke rieselt, die  
Sektflaschen werden entkorkt.  
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Ne, okay, ganz so heftig war es nicht, aber ich wurde einmal kurz  
durchgecoacht. Im Großen und Ganzen: Sei so, wie du bist. Nur etwas  
netter. Und vergiss das Lächeln nicht.  
Mit anderen Worten: Halt die Klappe und lächle und winke brav.  
Gesagt getan und, was soll ich sagen? Lächeln, winken, schlechtes  
Makeup und ein Rattenschwanzpferdeschwanz konnten überzeugen.  
Juchhu! Dazu kam meine rasche Auffassungsgabe bei der  
Einarbeitung ist es nicht faszinierend, dass ich Tomaten schneiden  
und Brote mit Sesam toppen kann? Und das ganz, ohne daraus eine  
Wissenschaft zu machen?  
Gut, trotz meines guten Englischabis hatte ich keine Ahnung, was  
„pork“ heißt, aber meine strahlenden Augen und mein beispielloses  
Geschick schienen darüber noch einmal hinwegzutäuschen. Während  
ich ungefähr zehn Minuten pro Brot brauchte. Und die Zutaten nur  
sehr, sehr langsam fand. Und immer zu viel auf das Brot tat.  
Sind wir ehrlich, ich hätte mich nicht eingestellt. Ich hätte mich  
verbindlich angelächelt und mir empfohlen, es irgendwo zu versuchen,  
wo man nicht schnell oder aufmerksam sein muss.  
Aber der werte Herr sah vermutlich nur „weiblich“ und „weiblich in  
kurzer Schürze, das kommt bei den Kunden gut an“.  
Ich habe mich wie so ein kleiner Chihuahua gefreut, wenn er mal von  
einem Schäferhund nicht gefressen, sondern respektiert wird.  
Also viel zu viele Stunden gearbeitet, jede davon überwiesen  
bekommen, toll. Sehr, sehr toll. Ganz viel Geld und ich erinnere mich  
noch daran, wie ich meinen ersten Lohn genommen und für Mama  
zwei Karten für Apassionata gebucht habe und für Papa ein  
Wochenende mit Mama in einem Viersternehotel in Dresden inklusive  
Karten für „Carmen“ in der Semperoper. Geld selbst zu verlieren, das  
fand ich schon extrem cool. Die Sitcom-Szenen, in denen die Figuren  
auf ihrem Bett sitzen und die Tasche voll Geld über ihrem Kopf  
entleeren, die habe ich versehentlich ausgespart, aber sonst habe ich  
mir einen schönen Lippenstift pro Monat geholt, den coolen Käse und  
von dem, was übrig blieb, nette Geschenke.  
Weil, wenn Menschen sich freuen, dann ist etwas toll, und wenn etwas  
toll ist, dann werden ganz viele Endorphine ausgeschüttet und ich  
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muss weniger Schokolade essen und ich werde dünner und  
athletischer und ende als Fitnessmodel auf dem Laufband.  
Also, naja, bis zu dem Ausschütten der Endorphine bin ich gekommen.  
Dann lag da mein Laptop mit glänzender Hülle, lächelte mir  
verführerisch zu und ich konnte einfach nicht anders, als mich mit ihm  
in meinem Bett zu verkrümeln und das nächste Buch zu beginnen.  
Weil ich keine Hobbies habe und so.  
Das Arbeiten, das warf meine Tagesplanung ziemlich schnell aus der  
Bahn. Nicht, dass mich das das erste halbe Jahr gestört hätte. Ich  
schrieb halt etwas weniger, studierte genauso viel und brachte einmal  
im Monat gutes Geld nach Hause, mit dem man tolle Sachen anstellen  
konnte. Ich sah noch mehr Menschen und habe meinen  
Schlafrhythmus erfolgreich so weit verschoben, dass ich erst um  
sieben wach wurde!  
Eventuell auch, weil ich bis halb eins in der Früh arbeiten war und um  
neun die Uni wieder losging. Aber das funktionierte gut. Ich war  
übermäßig, hammermäßig motiviert und wenn die Bücher mal kurz  
litten, ja, was soll´s? Dann schreibe ich halt nur vier im Jahr und keine,  
keine Ahnung, zwölfunddreißig. Die Arbeitskollegen waren toll, weil wir  
eh nicht zusammenarbeiteten und nur Hi und Tschüss sagten, die  
Kunden waren okay, weil ich weiblich war und ab einem bestimmten  
Zeitpunkt der Hausmeister Wache im Laden schob, damit ich mir nicht  
mehr die schlechten „Willst du heute Nacht mein Engel sein?“-Sprüche  
über mich ergehen lassen musste von widerlichen, besoffenen Typen,  
die kaum ihre Bestellung zusammenbekamen.  
Sagen wir, meistens ist es so, dass die größte Motivation größer ist als  
die eigentliche Freude über den Job. Und wenn sie dann erst einmal  
geht, dann richtig.  
Aber, Schwamm drüber! Arbeitsgeschichten, die sind doch viel mehr  
so eine „Schwamm drunter“-Angelegenheit.  
32  
Prüfungsanmeldung. Jetzt!  
Die Semester sind der Wahnsinn! Viel lernen, viel lesen, viel  
quatschen, viel herumalbern, häufiges Augenverdrehen. Und dann  
muss man sich für eine Prüfung anmelden und allen wird langsam  
bewusst: Naja, jetzt ist der Spaß vorbei und wenn du nicht aufgepasst  
hast, dann wird es lästig. Richtig lästig. Anstrengend. Sowas halt.  
Wir werfen euch doch nicht einfach die Leistungspunkte hinterher.  
Irgendwas Vages und wirklich Gemeines in der Richtung hatte eine  
Professorin wutentbrannt geäußert. Dabei erwartet das nun doch  
wirklich niemand! Wir würden uns nur über ein winziges  
Entgegenkommen der Professoren freuen in Form von, in Form von  
Fragen, die wir ganz, ganz sicher Dank des Seminars beantworten  
können. Und das ganz ohne die fünfzig angegebenen Bücher auf der  
Literaturliste zu lesen, um eventuell vielleicht möglicherweise mit viel  
Elfenmagie und Trollrotz zu bestehen.  
Also über eine Klausur, die exakt der Altklausur gleicht. Und die  
Altklausur sollte uns am besten inklusive richtiger Lösungen in der  
letzten Sitzung überreicht werden. Ein Stück Schokolade zum  
Abschied wäre auch nicht schlecht. Oder spätestens etwas Vertrauen  
zur Prüfung, damit man das Handy nicht grundlos in den Saal  
geschmuggelt hat und wenigstens die Möglichkeit bekommt, ein  
winziges Bisschen zu schummeln.  
Als ich das erste Mal meine Prüfungen anmelden musste, ging mein  
Puls ungefähr so:  
Wummwummwummwummwummwummwummwumm. Und nimm das  
mal zehntausend pro Minute. Ich war kurz davor umzukippen, während  
ich diese kurze Belehrung am Anfang fünfzig Mal durchzulesen, um ja  
keine Bindung einzugehen, die ich eigentlich gar nicht will.  
Ihr müsst mich nicht darauf hinweise, dass kein Student jemals eine  
Prüfung anmelden will.  
Ich wollte keine Bindung eingehen, die ich weder will noch muss.  
Die Sache ist: du setzt da so ein dämliches Häkchen in ein doofes  
Kästchen. Ähnlich wie bei der gnädigen Roboterfrage (Bist du ein  
Roboter?) auf die keine zehn Bilder folgen, aus denen man die Ampel  
herausfiltern soll, die in einigen Bildern so klein zu erkennen ist, dass  
ich mir unsicher bin, ob die Ampel zu den Ampeln zählt. Nebenbei,  
33  
diese erwarteten Roboterfragen sind für mich der Grund, eine Website  
zu verlassen. Weil ich es gut und gerne schaffe, eine halbe Stunde  
lang an den Bilderrätseln zu verzweifeln. Fragt mich nicht, wie. Ich  
kann es halt.  
Nein, die Uni hat an Sicherheitsvorkehrungen dieser Art gespart, wollte  
nur, dass wir kurz abhaken, dass wir den Belehrungsquatsch gelesen  
haben, und dann ging es in die ungnädigste Runde: Finde deine  
Prüfungen. Also zuerst deinen Kurs. Im richtigen Modul. Am richtigen  
Tag. Zur richtigen Uhrzeit.  
Warum die Profs diese penibel genauen Angaben zu Ort und Zeit  
gemacht haben, verstand ich schlagartig, als ich mit großen Augen vor  
meinen Rechner saß und mich fragte, warum man vor dem Beitritt zur  
Uni keinen IQ-Test machen muss.  
Finde deine Prüfung. Verdammter Schwamm! Wie denn bitte?  
Zehntausend Module. Und ich hatte mir fest vorgenommen, das  
Studium zu schaffen, ohne diesen bescheuerten Modulplan einmal zu  
öffnen.  
Ich stand also vor dem gleichen Dilemma wie damals mit siebzehn  
Jahren: Halte ich weiterhin an meinem Schwur an mich selbst fest,  
niemals Mittagsschlaf zu machen, wenn ich nicht unbedingt muss, oder  
bin ich so gnädig zu mir selbst, breche diesen Schwur an mich selbst  
und halte ein ausgedehntes Nickerchen?  
Damals habe ich mich für das Nickerchen entschieden.  
Und aus Sorge vor den Konsequenzen öffnete ich zähneknirschend  
den Modulplan und schaute mir mal an, was ich so belegt habe.  
Die Studis bei der Stundenplanzusammenstellung waren übrigens  
gemeine Hunde. Sehr, sehr gemeine Hunde. Die haben mir einfach  
das erste und zweite Semester zusammengelegt. Falls ich nicht in  
alles für das erste Semester reinkomme. Woran ich leider Gottes alles  
gesetzt habe, was ich habe. Inklusive unschuldigem Lächeln, Bitte  
Bitte, trauriges Gucken und mehrfaches auf der Schwelle stehen.  
Gut. Also die Prüfungen für die ersten zwei Semester im ersten  
Semester. Bekomme ich hin. Ich bin ja cool. Bekomme ich hin. Juchhu!  
Nachdem ich die fünf Prüfungen angemeldet hatte, musste ich erst  
einmal schwer schlucken.  
34  
Das war er nun also. Der erste ernsthafte Schritt in meinem Studium.  
Das erste Mal, dass ich tief einatmen und eine Leistung erbringen  
musste.  
Leute, meine Nerven lagen blank. Was, wenn die Uni doch nicht nur  
eine Witzgestalt ist mit Zipfelmütze, die existiert, um die Egos  
saufender Studenten zu päppeln? Was, wenn die Uni nicht nur  
existierte, um mich zu unterhalten, sondern um den Studis tatsächlich  
etwas beizubringen?  
Die Panik führte dazu, dass ich das erste Mal in meinem Leben  
Anstalten machte, wirklich zu lernen.  
Das klingt jetzt so ein bisschen nach augenrollendem Fishing for  
Compliments, aber, naja, ich hätte es in Mathe gebraucht, aber  
irgendwie habe ich mich nie dazu durchringen können, wirklich, wirklich  
zu lernen. Zuhören im Unterricht muss reichen. Wenn ich damit nicht  
wenigstens eine Zwei bekomme, ist halt der Lehrer unfähig.  
Eine Überzeugung, die mich überall glänzend durchgebracht hat.  
Außer durch Mathe. Da hatte ich meine Zwei erst wieder, als die  
Schulzeit um war.  
Halleluja.  
Nein, ich sagte mir, die Uni muss schwierig sein. Die Uni ist wie Mathe  
und ich will nicht den gleichen Fehler wieder und wieder wiederholen.  
Also fertigte ich mir wundervolle, kleine Karteikarten an und hatte  
keinen blassen Schimmer, was ich jetzt damit tun soll. Also wurden sie  
durchgelesen. War interessant. Das, was ich darauf geschrieben habe.  
Ich wusste zwar, was darauf steht, weil ich es darauf geschrieben  
habe, aber sehr interessant. Toll. Cool. Faszinierend. Karten mit  
Wörtern drauf. Einige habe ich sogar bunt angemalt. Und jetzt?  
Tja, Leuts, ich will nur sagen: Prüfungsanmeldungen treiben uns noch  
zu den seltsamsten, nutzlosen Methoden. Ich durfte feststellen: Nach  
dem Schreiben der Karteikarten wusste ich nicht viel mehr als vorher  
und das „Lernen“ hat mir wortwörtlich keinen Fakt näher gebracht.  
Aber, Schwamm drüber. Um das Lernen zu lernen (haha, Hamsterrad!)  
bleiben mir ja noch geschlagene neun Semester.  
35  
Das Bibliotheksdilemma  
Die Uni hat eine Bibliothek. Das ist toll. Sehr toll. Ich bin ein Riesenfand  
davon!  
Ich bin kein Fan davon, dass diese Bibliothek zu den  
Hausarbeitsnischenthemen viel zu wenig Bücher hat, als dass der  
kleine Student glücklich werden könnte.  
Das Stichwort lautet „Fernleihe“. Leih dir Bücher aus anderen  
Unibibliotheken aus. Klingt besser, als es eigentlich ist. Eigentlich  
musst du nämlich sechs Wochen vorher sagen „will ich!“, damit dir das  
Buch für ausschließlich vier Wochen zur Verfügung gestellt wird und du  
ein Heidengeld bezahlen musst, falls du die Rückgabe überziehst.  
Aber klein Cel ist ja nicht dumm, sie fährt mal kurz nach Berlin rum.  
(Und geht das Versmaß suchen. Ha haha haha.)  
Die meisten werden, wenn sie an Berlin denken, den Fernsehturm vor  
Augen haben. Das Brandenburger Tor. Den Zoo. Den Tiergarten.  
Christopher Street Day. Madame Tussauds.  
Wenn ich an Berlin denke, denke ich entweder an die Museumsinsel  
(weil keiner Spießer) oder an die Unibibliothek. Was weniger damit  
zusammenhängt, dass ich in der von Kinderbeinen an tausendmal war,  
als viel mehr, dass ich sie nicht gefunden habe.  
Kurze Anekdote dazu: Wenn ich nicht genau weiß, wo sich mein Zeil  
befindet, gehe ich so los, dass ich mich theoretisch eine Stunde lang  
verlaufen kann. Gut für mich. Schlecht für mich. Wägen wir jetzt nicht  
ab. Die Sache war, wir sollten uns Anfang der elften Klasse am Grimm-  
Zentrum treffen, um mal etwas Unibibliotheksluft zu schnuppern. War  
ich jetzt nicht so hyperbegeistert von, aber, he, keine Schule! Also ab  
in die SBahn und auf in das weite Berlin. Friedrichstraße. Idiotensicher.  
So die Anweisungen, die mir jeder gegeben hat. Sowohl der Tutor als  
auch meine Klassenkameraden als auch meine Mutter.  
Kleiner Spoiler am Rande: Entweder ich mache eine neue  
Idiotenkategorie auf oder es ist nicht idiotensicher! Nicht idiotensicher,  
ich wiederhole, nicht idiotensicher!  
Eigentlich muss man raus aus der Bahn, einmal über die Straße, an  
einem Hotel vorbei, einmal über die Straße, tada!  
Was mache ich? Google Maps an. Die Nadel führt mich schon  
irgendwohin, aber irgendwann stand ich dann halt auf der anderen  
36  
Seite der Brücke und die Bibliothek schien mir auch nicht näher zu  
kommen. Ich rief nach einer Weile verzweifelt meine Mutter an, sie  
dirigierte mich dann aus einigen Kilometern Entfernung in Richtung  
Bibliothek. Ich habe sie einfach nicht gefunden. Ich habe sie einfach  
nicht gefunden!  
Passanten gefragt, da lang. Da lang? Ja, okay, da war ich schon  
fünfzig Mal. Hallo? Bibliothek? Bist du nach Narnia geflüchtet und, falls  
ja, kannst du mich mal kurz hinterherholen? Ich bin nicht eine Stunde  
zu früh losgegangen, um eine Stunde zu spät am Treffpunkt  
anzukommen!  
Nach knapp einer Stunde irren und wirren und verzweifeln und beinahe  
heulen, bin ich auf der anderen Seite des Bahnhofs rausgegangen,  
und, was soll ich sagen?  
Bibliothek gefunden?  
Idiotensicher? Mitnichten, meine werten Mitbürger, mitnichten.  
Mein Leid war natürlich jedermanns Freude.  
Aber, he, wann immer ich an Berlin denke? Die erste Assoziation ist  
und bleibt diese dämliche Bibliothek.  
Kam mir Jahre später zu Gute. Ich bin also brav in die nächstbeste  
Bahn gehüpft, hab meinen Trolli mit Büchern vollgeladen, bin weiter in  
die Heimat gefahren, habe mich da ein paar Tage durchfüttern lassen,  
und es mir erspart, den Krieg um die zwei hausarbeitsrelevanten  
Bücher an meiner Uni zu führen.  
Da ich brav selbst nach Berlin gedackelt war, konnte ich die Bücher  
auch gefühlt ein halbes Jahr lang verlängern.  
Wer suchet, der findet.  
Während ich also mit meinen aus Berlin ergaunerten Büchern in  
meiner Studibude saß und fleißig meine Hausaufgaben getippt habe,  
lauschte ich angetan den verzweifelten Ausführungen meiner  
Mitstudierenden. Buch weg. Buch noch da, aber im Semesterapparat.  
Im Semesterapparat von einer anderen Person gelesen. Man selbst  
saß vier Stunden umsonst daneben und musste dann los zum Fußarzt.  
Zum Zahnarzt.  
Ach, eigentlich nur zur neuen Serie, aber man musste dann halt los.  
Prokrastinieren wurde durch die Unibibliothek also nicht nur gefördert,  
sondern erfunden. Man prokrastinierte neben dem Buch, während  
37  
jemand andere das Buch für seine Hausarbeit las. Man prokrastinierte  
auf der Suche nach dem Semesterapparat, weil er nicht dort steht, wo  
eigentlich alle verdammten, beschissenen Bücher zu dem Thema und  
des Fachbereichs stehen.  
Man prokrastinierte sogar beim Prokrastinieren, weil, weil alles doof.  
Manchmal, ich muss geschehen, verfluchte ich meine doofe  
Cleverness. Deretwegen durfte ich nämlich schon acht Wochen vor  
Abgabe anfangen. Alle anderen mussten erst vierzehn Tage vorher  
ran! Ich acht Wochen vorher. Acht Wochen! Acht Wochen die  
Hausarbeiten anstarren, fertigstellen, vier Wochen in der Wohnung  
liegenlassen, von Seitenzahlen träumen, die aus den Hausarbeiten  
krabbeln und einen fressen, drei Wochen liegenlassen, darauf warten,  
dass man den Mist abgeben darf, die Bücher zurück in die Bibliothek  
schleppen, zwei Wochen vor Abgabe abgeben, sich wie der übelste  
Streber fühlen und sich fragen, warum man sich nicht einfach mit allen  
anderen um das eine Buch kloppt.  
Nebenbei ist es wirklich seltsam, zwei Wochen vorher seine  
Hausarbeiten abzugeben. Man wird angesehen, als wäre man vom  
Mond gefallen. Und hätte irgendwie den Schuss nicht gehört.  
Zugegeben: Ich habe nur einmal meine Hausaufgaben so viel früher  
abgegeben. Weil sie nicht ankamen. Jups. Zwei Wochen vorher  
abgegeben und dann hatte ich richtig Stress, weil ich sie angeblich  
nicht geschrieben hätte.  
Klar, ich bin kein Studiratgeber oder so, aber, im Ernst: gebt euer Zeug  
maximal eine Woche früher ab. Erspart viel Stress.  
Ach, was soll`s. Schwamm drüber! Die Profs haben die Hausarbeiten  
irgendwann gefunden und ich mal wieder eine wertvolle Lektion fürs  
Leben gelernt. Halleluja.  
38  
Der Mensenrun  
Die Mensa ist der Star am Studihimmel. Es gibt niemanden, der  
beliebter ist, niemanden, der begehrter ist, niemanden, der ähnlich  
angehimmelt wird wie die Mensa. Günstiges, leckeres Essen, warm,  
fremd zubereitet, schnell auf dem Teller. Der perfekte Begleiter für  
jeden stressigen Studitag zwischen Vorlesung, Seminar, Übung und  
kein Bock.  
Zwar habe ich gefühlt nie einen Fuß in die Mensa gesetzt, weil, naja,  
warum soll ich Geld für das bezahlen, was ich mir auch lieblos selbst in  
die Pfanne hauen kann? Ja, da kommt der geizige Sparfuchs in mir  
durch. Gebe ich gern zu. Jaja. Ich bin so ein richtiger Alan ab Staffel  
drei/vier.  
Aber selbstverständlich bin auch ich bereit, die heilige Stätte der Studis  
zu betreten, wenn Lisbeth sagt: Lass mal in die Mensa essen gehen.  
Günstig, lecker, toll. Bewegung Marsch.  
Vielleicht wisst ihr das ja: Spießer lassen theoretisch eher ungern  
durchblicken, dass sie Spießer sind, also war das natürlich gar kein  
Problem für meinen inneren geizigen Sparfuchs, dass wir vor unseren  
Spaziergang noch einen Abstecher in die Mensa schieben.  
Angekommen, erinnerte sie mich ein wenig an meine Schulzeit. Hier  
hast du zwei Euro, hol dir essen. Und wie bereits in meiner Schulzeit,  
war ich dezent überfordert. So viel Futter! Fertiges Futter, dass nur  
darauf wartet, dass ich es mir auf den Teller häufe und … oh, Gemüse!  
Salat ist toll und, oh, Schokopudding! Nudeln, Schnitzel, gib mir alles  
auf einmal, ich reiche euch mein Monatseinkommen rüber und wir sind  
alle glücklich.  
Nein. Nein, so machen wir das nicht. Also habe ich mir unauffällig  
einen Teller gegriffen Lisbeth mal vorgehen lassen. Sie nimmt sich  
natürlich das gute Zeug. Ich hatte meinen jammernden Bauch im  
Hinterkopf.  
Gut, ich bin keine 34, aber das bedeutet noch lange nicht, dass ich  
alles vertrage! Als verzogenes Mamagör, für das immer zum  
Mittagessen gekocht wurde, habe ich mir einen Magen zugelegt, der  
aus Prinzip alles hasst, was nicht von Mamas Hand zubereitet wurde.  
Ein Zauberwort sind allerdings häufig Konservierungsstoffe. Da  
bekomme ich Magenkrämpfe von und juckende Haut. Gut möglich,  
39  
dass die Psyche da auch ein bisschen reinspielt. Will ich nicht von  
vornherein abstreiten.  
Aber wenn ich irgendwo essen gehe, ist es ziemlich wahrscheinlich,  
dass, je günstiger, je juckender das Motto des Tages wird.  
Mensen sind günstig. Das ist gut. Das ist toll. Dafür existieren sie.  
Aber ein Schnitzel aus der Mensa? Meh, lieber Nudeln mit  
Tomatensauce. Die einzige Person, die ich kenne, die Nudeln versaut  
hat, ist mein kleiner Bruder. Unübertrieben über hundert Gramm Salz  
hat er in den Topf gehauen. Ihr könnt euch ungefähr vorstellen, wie  
wundervoll mild die Angelegenheit war.  
Nein, also Nudeln mit Tomatensauce und Schokopudding. Weil  
Schokopudding ist mein Leben! Schokopudding ist toll! Ignoriert die  
dämliche Laktoseintoleranz! Schokopudding an die Macht!  
Lisbeth und ich sind also mit vollbeladenen Tabletts (Schokopudding,  
Schokopudding, ha, ha, ha, ha) zu einem der wenigen freien Tische  
gestromert und haben gediegen Platz genommen. In dem Moment  
wusste ich wieder, warum ich meinem geizigen Sparfuchs so viel  
Raum gebe: Verdammt, ist eine Mensa voll! Überall Studenten. Und es  
sah auch nicht so aus, als würden es irgendwie weniger werden  
wollen. Sie strömten durch die Türen, als wäre die Mensa der Berliner  
Hauptbahnhof und das kleine klaustro- und soziophobische Männchen  
in meinem Kopf begann zu steppen.  
Nein. Nein! Ich war mit Lisbeth in dieser Mensa, mein Teller duftete  
nach Fertigtomatensoße (was nicht schlecht sein muss an einigen  
Tagen gibt es nichts besseres) und der Schokopudding grinste mich  
breit an. Mir fiel auf, dass ich den Löffel vergessen habe, aber, was  
soll´s? Mit Gabeln habe ich schon ganz andere Probleme gelöst.  
Zum Beispiel das „da ist etwas in den Abfluss gefallen“-Problem. Oder  
das „Arielle konnte sich mit der Gabel gar nicht richtig die Haare  
kämmen, schau?“-Problem. Oder das „Ups, eigentlich wollte ich die  
Kartoffel nicht über den halben Mittagstisch schnippen“-Problem.  
Pudding mit Gabel? Höchstens ein ästhetisches Problem.  
Allerhöchstens. Eigentlich weniger.  
Lisbeth und ich fingen also während des Essens an, uns über einige  
historische und politische Sachverhalte das Maul zu zerreißen,  
während wir unser Mittag in uns hineinschaufelten.  
40  
Das Essen war schon okay. Nicht so, dass ich am Ende des Tages  
keine Bauchschmerzen hätte, aber schon toll. Gut im Ansatz. Das ist  
doch die Hauptsache. Und wir hatten zwar in einer Mensa Platz  
genommen, in der man ungefähr drei Euro für alles zahlt, aber wir  
behandelten sie wie ein gediegenes, teures Restaurant. Will so viel  
bedeuten, dass wir kein Besteck haben mitgehen lassen und den Tisch  
für locker zwei Stunden blockiert haben.  
Einige mögen es verdrängen, aber Politik und Weltgeschichte,  
Menschenskinder, kann man da viel drüber tratschen. Weißt du noch  
als der und der das und das gesagt und das und das gemacht hat?  
Boah, und der hat jetzt genau das Gleiche abgezogen!  
Ist ja peinlich.  
Ja, oder? Wahnsinnig peinlich!  
Quasi Gossip auf Spießerniveau mit Hornbrille und Überbiss. Lisbeth  
war wie aus dem Bilderbuch geschnitten worden. Niemand außer ihr  
zerriss sich mit mir derart herzhaft den Mund über das aktuelle  
Weltgeschehen.  
Hast du das und das gelesen?  
Ja! Und du das und das?  
Ist peinlich, oder?  
Klar. Sowas von!  
Wo Lisbeth und ich uns einig waren: In den Stiefeln unserer  
Tratschopfer wollten wir jetzt auch nicht unbedingt stecken.  
Schwamm drüber! Doppelmoral gibt es nicht nur am Mensatisch,  
sondern auch auf den Titelblättern der beliebten Damenzeitschriften  
(Lieben Sie ihren Körper. Oh, und auf Seite zehn haben wir die  
fünfzehn besten Abnehmtipps für Sie gesammelt. Mensch, Leute, ihr  
könnt euch nicht vorstellen, wie motiviert ich bin, meinen Körper zu  
lieben, wann immer ich sowas lese.)  
41  
Spieleabend  
Die Uni ist ein sozialer Platz und bietet für asoziale Menschen wie mich  
Spieleabende an. Nicht, dass asoziale Menschen wie ich da hingehen  
würden. Wir strecken uns lieber in unserem Bett aus, schnappen uns  
den Laptop und tun so, als hätten wir Ideen und wären Kreativ. Weil  
das Vorgeben kreativ zu sein, das ist voll im Trend!  
Nein. Nein, ich bin einer dieser Menschen, die den Aushang zu einem  
uniinternen Spieleabend sehen, skeptisch das Gesicht verzieht, die  
Arme in die Hüften stemmt und strafend den Kopf schüttelt. Was haben  
die sich da schon wieder ausgedacht. Aber ne! Das geht ja gar nicht.  
Gar nicht, gar nicht. Eine Katastrophe! Wie kann man seine Lebenszeit  
nur so verschwenden (fragt jeder, der weiß, wie lange ich am Tag  
schreibe)? Da kommt eh keiner hin. Am besten sollte man die Zettel  
abnehmen und den armen, armen Veranstaltern die Enttäuschung  
ersparen.  
Natürlich habe ich die Zettel nicht abgenommen. Ich bin ein braves  
Cel, ich habe nur strafend den Kopf geschüttelt und habe ganz  
streberhaft die Bibliothek betreten.  
Diese Spieleabende, das ist eine dieser Sachen, an denen müsste ich  
mich überhaupt nicht stören. Geht mich nichts an, also gehe ich nicht  
hin und lebe glücklich weiter wie zuvor.  
Naja, das Doofe ist, einige meiner Kommilitonen verspüren diesen  
irrationalen Drang, Menschen kennenlernen zu wollen und ganz  
plötzlich, holterdipolter, sitze ich neben den fünf Hanseln, deren  
Namen ich kenne, in der Vorlesung und die fangen an, über „Wer bin  
ich?“ zu reden.  
Kurzes Drücken der Pausetaste: Ich hasse „Wer bin ich“. Nicht auf der  
Ebene, auf der ich Spieleabende mit unbekannten Menschen in der  
Bibliothek hasse, die ich für einen Wimpernbruchteil in Erwägung  
gezogen habe, bevor ich beschlossen habe, nicht erbärmlich genug für  
diese Spieleabende zu sein (obwohl sich zeigen sollte, dass es  
erbärmlicher war, nicht hinzugehen). Nein, „Wer bin ich“ hasse ich auf  
einer anderen Ebene. Der Ebene, dass ich einfach zu dumm und  
ungeduldig für dieses Spiel bin. Du klebst mir einen Namen auf die  
Stirn, ich verbringe eine Viertelstunde damit, ernsthaft herauszufinden,  
42  
wer ich bin. Die Frustrationsgrenze ist erreicht und ich versuche  
krampfhaft, zu linsen.  
Dieses Spiel ist mir absolut schleierhaft! Ich bin wortwörtlich noch nie  
von allein darauf gekommen, wer ich bin. Das liegt nicht daran, dass  
ich das Spiel selten hätte spielen dürfen, sondern daran, dass es  
einfach beschissen ist.  
Dafür bin ich trotzdem immer als einer der Ersten fertig, weil ich eine  
Königin im Schummeln bin. Spiegelung im Handy eines anderen  
Mitspielers, Spiegelung im Fenster, in der Schrankwand, auf dem  
polierten Tisch.  
Das ist für mich der Inhalt dieses Spiels: Wie schnell kann ich mir das  
Erkennen des Namens erschummeln?  
Bei den Spieleabenden der Uni hat man das ernsthaft und in großer  
Runde gespielt und das muss nach einigen Bier echt der Hit gewesen  
sein!  
Kurz überlegte ich, der Uni und „Wer bin ich“ noch einmal eine Chance  
zu geben und zum nächsten Spieleabend mitzukommen. Dann habe  
ich mich daran erinnert, dass ich keinen Alkohol nehme, auf Drogen  
verzichte und auch der Kick des Kaffees eher verpönt wird und verwarf  
die dämliche Idee, so schnell wie sie mir gekommen war.  
„Spieleabende der Fachschaften“ sollen doch bitte Spieleabende der  
Fachschaften bleiben. Und der Menschen, die dazu in der Lage sind,  
Kontakte zu knüpfen.  
Ich lauschte also während der Vorlesung halb dem Prof und halb den  
Ausführungen meiner Kommilitonen. Zwei davon kannte ich sogar mit  
Vornamen!  
Voll cool. Werwolf zu drölfzigst. Bestes Bier überhaupt. Geile Leute.  
Ich nahm nach der Vorlesung mein Glas selbstgemachten Apfelmus  
aus dem Rucksack, schnupperte daran und stellte fest, dass Mama  
den wohl nicht fest genug zugedreht hatte. Also schlecht. Eigentlich  
fehlte nur noch der karierte Wollpullover und der fettige Haaransatz  
zuzüglich des grenzdebilen Lächelns.  
Das Glas mit dem schlechten Apfelmus wanderte in den Müll und ich  
auf die Straße, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Die  
Veranstaltungen ohne Vivi und Julia waren die eigentlich  
anstrengenden. Da musste ich mich bei Menschen anbiedern, die  
43  
Namen hatten, die ich nicht kenne, und eine Begeisterung in soziale  
Freizeitaktivitäten stecken, die von einer anderen Welt zu kommen  
schienen.  
Immerhin, in Erinnerung an diesen Moment stand ich vor dem Schild  
der neuen Spieleabendankündigung deutlich länger. Dieses Mal war er  
zwar für die Nawis, aber wen interessiert das schon? Nette Leute, tolle  
Spiele, schöne Gesellschaft, angenehmer Abend, gute Musik, harter  
Alkohol, ominöses Gebäck. Man sagt, das beste Leben liegt immer nur  
eine Entscheidung entfernt. Gut möglich, dass es genau diese  
Entscheidung ist. Diese eine Entscheidung, die mich zum glücklichsten  
Menschen der Welt macht.  
Doof nur, dass mir mein Leben eigentlich gefiel. Also stemmte ich die  
Hände in die Hüften, verzog unzufrieden das Gesicht und schüttelte  
strafend den Kopf.  
Aber, Schwamm drüber! Kommt, habt ihr echt erwartet, dass dieses  
Kapitel anders endet? Nach allem, was ich euch jetzt schon erzählt  
habe?  
44  
Fühl dich special  
Lisbeth und ich, wir kannten uns ja von dieser Erstiveranstaltung für  
alle, als sie meinem ärmsten Rucksack den Platz streitig gemacht hat.  
Will man sich an der Uni special fühlen, studiert man Medizin.  
Tja, an diesem Studium bin ich haarscharf trotz meines wundervollen  
Abis vorbeigeschrammt. Wahrscheinlich, weil ich es nie auf ein  
Medistudium angelegt habe und mir kotzübel wird, wann immer ich Blut  
sehe. Blut sehe, das nicht zu mir gehört. Also wurde das Medistudium  
trotz Mamas Hoffen und Beten abgewählt und gegen das  
Lehramtsstudium getauscht.  
Ich wollte mich natürlich trotzdem special fühlen. Ich meine, Hallo?  
Erstistudent? Hallo? Ich will hier schon noch die Kirsche auf meine  
Torte haben.  
Ne, okay, die Idee, in die Medivorlesungen mitzulatschen, die kam  
nicht von mir, sondern eher von Lisbeth. Ich habe irgendwas Dummes  
gesagt wie: Interessiert mich sehr. Sie hat irgendwas Dummes gesagt  
wie: Ja, dann komm doch mit. Und ich habe irgendwas wirklich  
Dummes gesagt wie: Klingt nach dem Plan des Jahrtausends!  
Lisbeth schickt mir also ihren Stundenplan rüber, ich werfe einen  
kurzen Blick auf meine jämmerliche Aufgabenliste, gratuliere mir  
herzlich dazu, dass ich mich gegen Medizin und somit gegen einen  
durchgehenden Studitag von früh um Sieben bis abends um Acht  
zuzüglich Lernen entschieden habe, und vermerkte Lisbeth meine  
Wunschvorlesungen.  
Ganz ehrlich, ich habe keinen blassen Schimmer mehr, welche  
Vorlesungen im ersten Semester lagen und welche in späteren  
Semestern. Aber während Soziologie, Anatomie, Neurologie,  
Histologie und noch eines Fachs, dessen Namen mir entfallen ist, habe  
ich mich über die Semester verteilt pflichtbewusst an Lisbeths Fersen  
geheftet in der Hoffnung, weniger dumm aus der Sache rauszugehen,  
als ich reingegangen bin. Kleiner Spoiler: Medivorlesungen können  
verdammt verwirrend sein, wenn man kein einziges Wort versteht.  
Irgendwas war mit irgendwas und jetzt … warte, warte! Wie genau ist  
der jetzt gestorben? Was? Was ist passiert? Lisbeth, hilf mir!  
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Lisbeth hat die Vorlesungen dummerweise genutzt, um neues Wissen  
anzuhäufen. Was ich selbstverständlich nicht verurteilen will. Wer bin  
ich denn!  
Ich will nur mal anmerken: Finde ich gar nicht so cool. Lisbeth, wie  
kannst du es wagen, dich für dein Studium zu interessieren und mich  
teilweise geschlagene zwei Minuten auf meine Antwort warten zu  
lassen?  
Na? Na??  
Nein, nein, Lisbeth war ganz lieb und hat mir das Dilemma im  
Nachhinein erklärt.  
Die Vorlesung, die ich verstanden habe, weil sie nicht auf  
Medizinerisch sondern auf Deutsch gehalten wurde? Soziologie. Im  
Grunde die Vorlesung, bei der der ehemalige Sanitäter und die  
Dozentin sich in regelmäßigen Abständen in die Haare bekommen  
haben. Sehr amüsant, wenn man mich fragt. Sehr, sehr interessant.  
Aus Diskussionen lernt man mit am meisten. So meine Meinung.  
Naja, die gediegenen Medis waren von dem Vorgehen eher  
gelangweilt, aber was soll´s.  
Das Problem an den Medivorlesungen, wenn man kein Medi ist, könnte  
sein, dass in einige zum Schluss ein kleiner Test geschrieben wurde.  
An dem wollte ich zugegeben nicht teilnehmen und außerdem musste  
ich aus Sozio eh immer ein paar Minuten vorher verschwinden, um  
rechtzeitig bei meinem Nachhilfeschüler anzutanzen.  
Ich dachte mir so: Studieren und arbeiten reicht noch nicht, ich setze  
noch Erfahrungen für mein kommendes Berufsleben drauf und leider  
hat das meine geliebte Soziovorlesung geschnitten.  
An sich kein Ding. Meistens saß ich mit Lisbeth am Rand und konnte  
dann unauffällig hinter den Kulissen verschwinden, während die Tests  
ausgeteilt wurden.  
Unangenehm wurde die Sache ein einziges Mal.  
Man mag es nicht glauben, aber Lisbeth hat deutlich mehr Freunde als  
mich. Jaja. Die meisten davon studieren Medizin. Jaja. Und wenn man  
am Ende der Vorlesungen Tests schreibt, die man sich auf die  
schlussendliche Klausur anrechnen lassen kann, dann tauchen auch  
erstaunlich viele Medis auf.  
Man sieht, wohin das führt?  
46  
Jups, einmal vergaß Lisbeth über die Begeisterung, die anderen zu  
sehen, mein „Hallo, ich bin kein Medi“-Dilemma, stellte mich ihren  
Freunden vor und platzierte uns zentral im Vorlesungssaal. Wollte ich  
verschwinden, müsste ich entweder die Treppe mittig nach oben gehen  
und dann über eine Sitzreihe klettern oder, so die jämmerliche  
Alternative, durch den Vortragsraum der Professorin latschen.  
Formulieren wir es so: Ich verbrachte siebzig sehr angespannte  
Minuten zentral im Raum und hoffte, dass ich weder rangenommen  
würde noch dazu gezwungen werde, durch das Herrschaftsgebiet der  
Dozentin zu dackeln.  
Leider ist es häufig so: Räume konstruieren sich nicht einfach um, nur  
weil man dafür betet. Die Uhr läuft auch nicht anders und natürlich  
hatte die Professorin auch keinen Arzttermin, weswegen sie die  
Veranstaltung früher beenden musste.  
Ich wurde also zum Highlight der Medistudis und zum „Was ist denn  
bitte das?“ der Professorin. Wie immer packte ich zwanzig Minuten vor  
Ende der Veranstaltung meine Tasche, mied pflichtbewusst jeden Blick  
und huschte so schnell und leise wie möglich ungefähr einen Meter an  
der Professorin vorbei. Gemurmel und Gekichere im Saal, ich nahm  
meine Beinchen in die Hand, falls die Professorin beschließen sollte,  
mich zu fragen, was der Schwachsinn soll. Glücklicherweise war das  
Überraschungsmoment auf meiner Seite. Ich spurtete also aus dem  
Gebäude, schwang mich auf mein Fahrrad und raste davon in das  
übernächste Dorf, um meinem lieben Nachhilfeschüler die englische  
Sprache zu vermitteln.  
Zur nächsten Vorlesung tauchte ich natürlich trotzdem auf. Die  
Professorin bedachte mich nur mit skeptischen Blicken, kommentierte  
aber nichts. Ich bedachte sie mit einem breiten Grinsen, das hoffentlich  
meine Inkompetenz von vornherein unterstrich.  
Und Lisbeth gratulierte mir dazu, dass ich endlich etwas Schwung in  
diese lahme Veranstaltung gebracht hätte. Genau das war mein Ziel  
gewesen. Die Medis zu unterhalten.  
Immerhin, Schwamm drüber, Sozio war schlüssig genug, dass ich  
sogar die ein oder andere Sache daraus mitgenommen habe. Zum  
Beispiel: Ärzte machen viel weniger als Krankenpfleger. Die  
Krankenpfleger sollten besser bezahlt werden. Was sind das alles für  
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Schnösel, die glauben, sie hätten es verdient, mehr Geld zu scheffeln  
als die Pfleger. (Hach, die Diskussionen zwischen dem ehemaligen  
Sanitäter und angehendem, studiertem Arzt und der Professorin sind  
und bleiben die beste Schlammschlacht, die die Uni zu bieten hat. Ihr  
schafft es nicht, mich vom Gegenteil zu überzeugen. Nene.)  
Klausurenzeit  
Meine ersten Klausuren! Zugegeben, sie waren eine ziemliche  
Enttäuschung. Läppische neunzig Minuten, nachdem man uns  
eingetrichtert hat: Ihr werdet in eurem Leben noch viele, viele, viele  
Klausuren schreiben, die so lang dauern wie eure Abiprüfungen. In  
anderen Studiengängen vielleicht. In den Geisteswissenschaften? Eher  
weniger. Was ein Paradoxon an sich ist, aber psssst.  
Ich war natürlich eins A vorbereitet für meine Klausuren. Mit meiner  
beneidenswerten Fähigkeit zu dämlich zum Lernen zu sein. Meine  
Karteikarten habe ich geschrieben und sehr konzentriert in  
Augenschein genommen. Zumindest für Geschichte und Psycho.  
Linguistik, so meine bescheidene Meinung, ist die Klausur, die ich auch  
halbtot bestehen würde. Was sich als wahr erwies. Weil zwischen  
meiner Psychoklausur und meiner Linguistikklausur ungefähr fünfzehn  
Minuten lagen. Eigentlich genug. Uneigentlich zogen die beiden  
zusammen sich dann voll über die Mittagszeit und ich musste in den  
fünfzehn Minuten irgendwie von einem Campus zum nächsten  
kommen. Was mir glückte!  
Aber, naja, ich schrieb die Linguitikklausur halbtot und die Sache lief  
trotzdem. Immerhin eine passable Selbsteinschätzung im „Damit wurde  
ich seit der siebten Klasse zugeballert“-Bereich.  
Das wundervolle an meiner Psyche ist, dass sie gar kein Problem  
damit hat, eine Prüfung zu schreiben. Ich finde das tatsächlich ziemlich  
toll. Kleiner Zusatzpunkt: je müder ich bin oder je höher das Fieber,  
desto besser die Leistung. Klingt nach einem grottenschlechten Witz,  
ist es aber nicht. Fieber und Müdigkeit machen mich zum Superbrain.  
Als man mich also damals (dummerweise gesund und munter) vor  
meine erste Uniklausur setzte, ging es mir echt gut. Psycho kann ich.  
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Den Stoff habe ich mir brav auf meine Karteikarten geschrieben und  
hatte ihn auch schon seit der zehnten Klasse in der Schule. Sorgen  
bereitet hat mir eher die Multiple-Choice-Klausur, aber jetzt auch nicht  
genug, um nervös zu werden.  
Meine Einstellung: Wen interessiert es schon? Ist ja nur eine Klausur.  
Die Nervosität, die jeder normale Mensch vor dem Erbringen einer  
Leistung verspürt, schlägt bei mir heulenderweise im Nachhinein zu.  
Was, wenn die Leistung schlecht ist? Hätte ich doch nur besser  
gelernt! Warum bin ich so dämlich? Ich hätte lernen müssen. Nein, ich  
traue mich nicht, in das Prüfungsportal zu sehen. Was, wenn es nicht  
so gut ist, wie ich will? Was, wenn ich durchgefallen bin? Was dann?  
Ja, dann setze ich vielleicht das nächste Mal mehr daran, mir das  
effektive Lernen beizubringen und lese mir nicht nur fröhlich meine  
Karteikarten im „Hau raus“-Modus durch.  
Aber die Klausuren müssen erst geschrieben werden, bevor ich  
meinen kreischenden Nervenzusammenbruch bekomme. Also setzte  
ich mich, freute mich auf die Klausur, erledigte die Klausur in  
Rekordzeit, hastete aus dem Raum, hatte mir so einige Zusatzminuten  
für den Campuswechsel zur nächsten Klausur erkauft, und raste auf  
mein Linguistiktestlein zu.  
Bewegung tut dem Hirn ja gut. Blöd nur, dass ich in Gedanken noch  
voll bei Psycho war, als ich das Haus fand, den Raum fand, mir eine  
Banane und einige Traubenzucker reinpfiff, mich kurzerhand  
überzuckerte und dann zitternd und strampelnd auf meinem Stuhl saß.  
Ich bin ehrlich mit euch: Ich habe keinen blassen Schimmer mehr,  
welche Fragen in der Linguistikklausur gestellt wurden. Für mich war  
ausschlaggebend, dass sie irgendwie bestanden wurde und ich nicht  
die Rückseite oder so übersehen hatte.  
Dieses Mal blieb ich sogar bis zum Ende sitzen. Eher weniger, weil ich  
bis zum Ende arbeitete. Aber ich genoss es, dass die Sonne durch das  
Fenster fiel und war wenig ambitioniert, meine Kommilitonen beim  
Schreiben ihrer Arbeit zu stören, indem ich mich aus ihrer Mitte  
geräuschvoll nach vorn kämpfe, die Klausur auf den Professorentisch  
knalle und verschwinde. Mein Hirn war irgendwo im nächstbesten  
Mixer verloren gegangen und ich grübelte darüber nach, das weiß ich  
noch sehr genau, ob ich mir lieber Marshmallows oder Schokolade  
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holen will. Oder beides, um mir die Marshmallows mit Schokolade zu  
überziehen. Wie auf dem Weihnachtsmarkt!  
Marshmallows mit Schokolade. Nur noch zu toppen mit kleinen  
Bananenstückchen dazwischen. Oder ich mache mir die Marshmallows  
selbst?  
Ah, ich sollte noch ein bisschen in die Unterlagen zur Geschichtsarbeit  
schauen. Also Marshmallows und Schokolade.  
Der nervliche Supergau kam für mich, als ich nachsehen musste, ob  
und wie ich meine Klausuren bestanden habe, weil es an die neue  
Fächerwahl ging. Hab es überlebt. Augenscheinlich.  
Vivis nervlicher Supergau war vorher dran. Und zwar zur  
Geschichtsklausur. Sie hat dieses eigentlich sinnvoll geordnete  
Panikempfinden. Angst vor der Klausur, nicht vor der  
Zensurenbekanntgabe. Vivi verwandelte sich also kurzerhand in einen  
Schlot, der die Zigaretten wegrauchte, als wären sie Kaugummi.  
Weshalb ich mit Vivi kein echtes Mitleid haben konnte? Sie kann  
lernen. Und sie hat das gesamte Portfolie, über dreißig Seiten,  
wortwörtlich wiedergegeben. Inklusive Literaturliste. Wortwörtlich! Ich  
bin da immer noch nicht drüberweg.  
Wir schrieben also diese Klausur, Vivi panisch, ich nach dem  
tendenziell eher ungesunden „Kostet ja nichts“-Cel-Motto. Wir waren  
beide vorher fertig, wir krochen beide unter den Tischen durch, meinen  
Namen hätte der Dozent nur finden können, wenn er die Anmeldeliste  
umgedreht hätte, aber da wir das nicht wussten, mussten wir vorerst in  
Betracht ziehen, dass ich vergessen hätte, mich zur Klausur  
anzumelden (Was ich nicht habe. Ich habe diese verdammte  
Anmeldung fünfzigtausend Mal überprüft). Dann verabschiedeten Vivi  
und ich uns in die ersten Semesterferien und, naja, das war es dann  
auch schon mit dem ersten Semester. Hausarbeiten beenden, aber  
was ist das schon?  
Ein Semester erfolgreich studiert. Unglaublich! Einen Haken hatte die  
ganze Sache: Der sehr geehrte Herr Neumann, mein wundervoller  
Kursleiter, hat versprochen, nach dem Wochenende mit der Klausur  
durch zu sein. Das bedeutet, ich konnte meine Ergebnispanik nicht bis  
zu Beginn des neuen Semesters schieben, sondern war von meinem  
inneren Teufelchen dazu gezwungen, am Montagmorgen dem Prof zu  
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schreiben. Kaum, dass ich aus dem Bett gefallen war, schrieb ich  
Herrn Neumann. Also eine eMail. Mit winzigen Verbesserungen im  
Vergleich zur Ersten.  
Sie lautete ungefähr so:  
Sehr geehrteR Herr PROF. DR. Neumann, bitte, bitte, habe ich  
bestanden? Bitte, bitte. Sie dürfen mich nicht durchgefallen lassen  
haben. Bitte! Sie wollen mich doch auch nur loswerden, oder? Bitte!!!  
Nein, so wundervoll war die Mail natürlich nicht. Pah! So cool wäre ich  
gern. Aber dass ein Student ihm früh um fünf schreibt, schien für den  
werten Professor alarmierend genug, um mich nicht ewig auf die Folter  
zu spannen.  
Ja, bestanden. Mach dir nicht so einen Stress.  
Hätte ich nicht bestanden, würde hier nun etwas stehen wie „Aber,  
Schwamm Drüber, dafür gibt es Zweitversuche“. Da ich allerdings  
bestanden habe: Macht euch nicht verrückt Leuts. Echt nicht. Die Uni  
ist kein Hexenwerk. Die Profs sind nur seltsam, aber die Uni selbst?  
Ein Schwamm, den man nicht einmal irgendwo drüberlegen könnte.  
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Die wundervolle Sache mit der Stundenplanerstellung  
Im ersten Semester hatte ich meinen Stundenplan von klugen,  
erfahrenen Studis erstellen lassen. Im zweiten Semester? Saß ich in  
Teltow und die Antwort des Fachschaftsrats las sich ungefähr so:  
„Modulplan!?“  
Okay, gut. Ich hatte mich ja bereits einmal dazu herabgelassen, einen  
Blick in den Modulplan zu werfen und wenn das Studium mit diesem  
dämlichen Plan steht und fällt, dann lasse ich mich halt dazu herab, da  
noch einmal reinzublättern und zu schauen, was ich als nächstes zu  
tun habe.  
Wenn wir mal textklar reden, ist der Modulplan eine wirklich sinnvolle  
Sache. Da hat sich jemand die Mühe gemacht mit bunten Kästchen zu  
erklären, wie man sein Studium strukturieren sollte. Finde ich schön  
und lieb und nett.  
Nervt halt nur, sobald es an die Studenplanerstellung geht.  
Da muss man nämlich in ein gesondertes Vorlesungsverzeichnis, dort  
alle Veranstaltungen anklicken, die entweder ein Seminar, eine Übung  
oder eine Vorlesung sind, dann nachsehen, ob die Modulbezeichnung  
dort zu finden ist, dann sich in zehn Veranstaltungen mehr eintragen,  
als man braucht. Immer natürlich in der Hoffnung, dass man  
mindestens in eine Veranstaltung reinkommt und nicht wieder die „Ich  
bleibe hier sitzen, bis Sie mich in diese Sitzung eintragen“-Nummer  
spielen muss. Also überlädt man den Stundenplan, versucht, dass sich  
nichts überschneidet, nimmt hin, dass sich alles überschneidet, hofft  
auf den Loszeitpunkt und schlägt doch eigentlich die ganze Zeit nur mit  
dem Kopf auf den Tisch.  
Die Sache, ich weiß, die klingt eigentlich recht simpel und schnell.  
Ratet mal, wie lange ich gebraucht habe, um mich das erste Mal  
selbstständig in Veranstaltungen einzutragen?  
Genau. Ganz genau. Mehrere Stunden! Einerseits natürlich Dank  
meiner Unfähigkeit, andererseits weil … Hallo? Ich brauche alte  
Geschichte? Im Vorlesungsverzeichnis gibt es keine alte Geschichte?  
Hallo? Hallo? Halloho?  
Ich kenne ja Leute. Ich habe meine Kontakte. Wie jeder gute Student.  
Also habe ich verzweifelt eine aus meinem Semester angeschrieben  
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und auf Knien darum gebettelt, dass sie mir sagt, wie ich dieses  
dämliche, dämlich, dämliche Modul im Vorlesungsverzeichnis finde!  
Ihre Antwort: Ich gucke mal.  
Und wie es bei den Menschen immer ist, die Augen im Kopf haben,  
wurde sie fündig. Weil sie mich lieb hat (Immerhin kenne ich sogar  
ihren Vornamen!), hat sie mir dann auch direkt via Handyvideo gezeigt,  
wo ich alte Geschichte finde (Nicht unter Geschichte, sondern unter  
Alte Geschichte. Lassen wir die Sache einfach.), mich dazu überredet,  
dass wir ein paar Veranstaltungen versuchen gemeinsam zu belegen –  
und danach musste ich mich erstmal von meinem Leben und dem  
schwierigen Studentenschicksal erholen.  
Ich lehnte also jammernd und keuchend in der Couch und klagte  
meinen Eltern mein Leid. Als sie mich doch eher platonisch  
bemitleideten, hievte ich mich auf meine zwei Beinchen und jammerte  
meine Geschwister voll.  
Ich schätze, ich hatte Glück, dass Lucky nur gegangen ist und mich  
nicht mit ihrem Geigenbogen aus dem Raum gejagt hat. Obwohl. Als  
wäre ich Lucky genug wert, damit sie ihren Bogen an mir ruiniert!  
Dazu muss man wissen: Lucky liebt ihre Geige. Liebt sie wirklich.  
Wenn es darum ginge, jemanden aus dem brennenden Haus zu retten,  
käme zuerst ihre Geige, dann der Kater, dann alle anderen. Die Geige  
ist Luckys Heiligtum und ohne Bogen entlockt man der eher wenige  
Töne. Ich kann also nur davon träumen, dass sie das Leben ihres  
Bogens aufs Spiel setzt, um mich aus dem Raum zu treiben.  
Im Ernst: Es gibt viele Dinge im Studium, die sind seltsam. Nichts ist  
ähnlich ätzend wie die selbstständige Stundenplanerstellung. Da sitzt  
der kleine Student vor fünfzig geöffneten Taps (deutlich weniger  
übertrieben, als mir lieb ist) und versucht, die Veranstaltungen  
herauszufindern, die erstens in das Modul passen, zweitens in den  
Plan passen und drittens hoffentlich eventuell vielleicht möglicherweise  
den Interessenbereich abdecken. Ich bin in dem Semester in ein  
Seminar zu den Zisterziensern reingekommen. Ihr wisst nicht, was das  
ist?  
Wusste ich vor dem Seminar auch nicht und wir sind mal wieder an  
dem Punkt angekommen: Hoffentlich vielleicht hilft dir dieses Seminar  
auch im späteren Berufsleben weiter.  
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Wir haben alle nie etwas von den Zisterziensern gehört. Das Thema ist  
nicht im Rahmenplan vermerkt.  
Den Lehramtsstudenten gefällt das!  
Natürlich war ich in dem Moment noch hoffnungsvoll und schielte auf  
Nappi und seine Errungenschaften oder auf irgendein Seminar, dessen  
Titel ich überhaupt verstand.  
Natürlich wurden die Hoffnungen von einem zehntonnigen Lastwagen  
überrollt, während mir der Fahrer eine Kusshand zuwarf.  
Nach der Stundenplanerstellung war meine größte Sorge, irgendein  
Modul übersehen zu haben. Die Sache ist halt: Du bist allein  
verantwortlich. Meine Eigenverantwortung endet an der Tastatur des  
Laptops und angenommen der Laptop wäre das Brett, dann wissen wir  
alle, wie weit es von meinem Kopf entfernt ist. Die zweite Sache ist  
halt: Wenn du Geisteswissenschaften studierst, kann es schon sein,  
dass du maximal zwölf Veranstaltungen hast. In der Woche.  
Da kommen schon mal Zweifel auf, ob man alles erwischt hat, was  
man erwischen musste.  
Ich habe alles erwischt und die Seminare haben mich erwischt. Aber,  
Schwamm drüber! Immerhin habe ich es ins zweite Semester  
geschafft! Und den Grundstein angemessen gelegt. Mit meinem  
einzigartigen, selbsterstellten Stundenplan, den ich anhand meines  
komplexen, wunderschönen Modulplans konzipiert habe. Wunder  
werden doch noch wahr. Es ist mir gelungen, einen wichtigen Schritt im  
Studentsein zu tun: vorzugeben, man könne sich organisieren.  
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Zehn Studis und keiner mehr!  
Teilweise werden die Kurse etwas überbelegt. Nicht, weil das Thema  
sonderlich interessant ist, sondern weil der Dozent vergessen hat, eine  
Obergrenze einzustellen. Da kann es dann schon passieren, dass in  
einem Raum für zehn Personen plötzlich dreißig Studenten gestopft  
werden sollen, denen selbstverständlich nur etwas an dem Dozenten  
und an dem Thema liegt.  
Mit diesem überbordenden Interesse gehen die Dozenten verschieden  
um.  
Der sehr geehrte Herr Prof. Dr. Neumann teilte den Kurs und hielt in  
seiner Freizeit die Übung ein zweites Mal ab.  
Andere Dozenten stopften den Raum voll und ignorierten die  
Brandschutzverordnungen.  
Und einige Dozenten hatten keine Lust in ihrer Freizeit unbezahlt zu  
referieren und fänden es eigentlich auch gut, wenn die Studis den Platz  
hätten, um etwas zu lernen. Also losen sie halt so viele raus, wie es  
keine Stühle gibt.  
Die meisten sind die letzte Kategorie.  
Nicht so die Dozentin meines Zisterzienserkurses! Die hat in bester  
Vorlesungsmanier alle durch die Tür gelassen, uns eingeschärft, dass  
wir sie nicht verpetzen sollen. Wenn wir sie verpetzen, darf halt die  
Hälfte von uns nicht mitmachen. Also?  
Also sind die Studis ganz lieb, klauben sich Stühle aus dem gesamten  
Gebäude zusammen und errichten einen Sitzplatzring um die  
Sitzplätze herum, um der freundlichen Dozentin an den Lippen hängen  
zu dürfen.  
Die Frau war wirklich lieb. Sehr, sehr lieb. Ich habe sie vergöttert.  
Nicht, weil sie mir viele Dinge vermittelt hätte, die ich wahnsinnig  
interessant finde. Eher, weil sie toll auf uns eingegangen ist und mir  
kein einziges Mal gedroht hat, mich erschießen oder vierteilen zu  
lassen. Was nach meinen Erstierfahrungen tatsächlich ein Fortschritt  
war.  
Und ihr fragt euch noch, warum mein Humor so grottenschlecht ist.  
Mensch, Leuts, sollte das nicht offensichtlich sein?  
Die Sache mit der Raumbelegung scheint an meiner Uni ein Dilemma  
zu sein, das unmöglich, wirklich unmöglich zu überwinden ist. Zu wenig  
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Räume oder zu viele Seminare, das ist das Stichwort. An den  
Studenten kann es nicht liegen. Die Uni hat wackelige 13.000  
eingeschriebene Studis. Die sollte man an den zahlreichen Standorten  
doch irgendwie unterbringen können!  
Aber Organisation ist ein Teufelsspiel und das scheinen sich sowohl  
die Prüfungsleiter als auch die Raumverteiler zu denken. Das führt gut  
und gerne dazu, dass ein Seminar mit fünf Studis in einem Raum für  
fünfzig Studis sitzt und dass fünfzig Studis in einem Raum für zehn  
Studis sitzen.  
Eigentlich ganz witzig. Sollte der Dozent auf die Idee kommen, einen  
Lesetest zu schreiben, muss man schon verdammtes Pech mit seinen  
Banknachbarn haben, damit da nichts Gutes bei rumkommt.  
Die Organisation, das war eine der Sachen, die mir von den älteren  
Studis von Anfang an gesagt worden war. Sei am besten früh da, weil  
Plätze, naja. In meiner ersten Vorlesung sah ich damals dann sogar  
eine ältere Studentin, die mit ihrem Kaffee in der Hand auf dem Absatz  
umdrehte, weil, naja, das Bodensitzen schien sie gar nicht mal so zu  
überzeugen.  
Kleincel dachte sich natürlich, dass das alles gar nicht so schlimm sein  
könnte. Schließlich kam ich aus einer Schule, die zwar Leistung  
verlangte, aber die Lehrer mit dem „ist doch nicht so schlimm“-  
Handschuh getätschelt hat. Klingt nett. Für die Lehrer. Für uns führte  
diese Organisation zu einer zehnten Klasse, die wir überrascht „Oh,  
Herr Blume ist da!“ riefen, wenn unser Mathematikunterricht mal nicht  
ausfiel.  
Ich war fest, nein, felsenfest davon überzeugt, dass nichts diese  
Organisation meiner Schule toppen konnte. Diese Nichtorganisation.  
Dieses Aussitzen. Dieses „Vertretungslehrer, was ist das? Kann man  
das essen?“. Nichts könnte hirnverbrannter sein als kein Unterricht.  
Kleiner Tipp: Unterricht auf dem Schoß eines Unbekannten ist  
hirnverbrannter. Es macht auch eher weniger Spaß. Und die Ferse des  
Dozenten beobachten zu dürfen, während andere Glückliche auf die  
Tafel starren, das ist nur die ersten zehn Minuten witzig. Danach  
kommen Fragen auf wie „wer trägt bitte schwarze Socken mit gelben  
Kringeln“ oder „wie oft standen diese Sohlen wohl schon in  
Hundekacke“ oder „ob der Dozent es merkt, wenn ich mich durch seine  
56  
Tasche wühle“ oder „Wie spät ist es? Ich kann die verdammte Uhr  
nicht sehen“. Und da ich ein vorbildlicher Student war, zog ich das  
Handy nicht einmal in einer misslichen Situation wie dieser hervor, um  
äußerst professionell zu ermitteln, wie lange ich den kratzigen  
Teppichbelag des Raumes noch genießen dürfen werde.  
Man sollte meinen, dass die Uni das geregelt hat. Aber, nein, nein.  
Entweder die Hälfte der Studis wurde nach einer Weile weggeschickt  
oder man verbrachte seinen Sommer genau so: Eingekuschelt in  
schwitzige Studentenkörper von Menschen, deren Namen man  
eigentlich gar nicht wissen wollte, weil sie stanken wie eine ganze  
Ladung Tester von nicht funktionierenden Deos.  
Und da man natürlich bei fünfzig Leuten im Raum auch kein Fenster  
öffnen darf es könnte sein, dass einer die Flucht ergreift und von dem  
Kidnapper mit Professorentitel berichtet atmeten wir alle die gleiche,  
abgestandene Luft, saßen unsere Zeit ab und haben ungefähr so viel  
mitgenommen:  
Was soll`s. Schwamm Drüber! Die Unizeit ist zum Kuscheln da.  
57  
Zur persönlichen Belustigung  
Kennt ihr das? Euch ist langweilig? Und dann sagt ihr irgendwas und  
plötzlich ist euch nicht mehr langweilig?  
Ihr dürft mir den Stempel „größter Arsch der Welt“ auf die Stirn  
drücken. Ich habe es mir nämlich zur Gewohnheit gemacht, in meinen  
Literaturwissenschaftsseminaren eine steile These loszulassen, sobald  
mir langweilig wurde, und dann meinen Kommilitonen dabei zu  
lauschen, wie sie sich gegenseitig in der Luft zerrissen.  
Provozieren ist toll. Kann ich gut. Erstaunlich, dass mich noch niemand  
vor einen fahrenden Zug gestoßen hat, so häufig und pflichtbewusst,  
wie ich dieses Provozierzeug praktiziere.  
Ich schätze, der ein oder andere Literaturwissenschaftsdozent hätte  
mich am liebsten aus dem Fenster geschmissen.  
Falls ihr nicht wisst, was man im Literaturwissenschaftsunterricht  
macht: Man spricht über nicht triviale Literatur. Die meisten Bücher, die  
euch jetzt einfallen, sind trivial. Schon, weil sie nach 1960 geschrieben  
wurden, nicht von einem Mann mittleren Alters verfasst wurden und  
keine expliziten Sexszenen beschreiben oder, wenn sie das doch tun,  
dann einfach auf die falsche Weise. Oder so.  
Trivialliteratur sollte also verbannt werden und ich habe mich schon  
aus Prinzip an dieser Trivialliteraturdebatte nie beteiligt. Weil, naja, als  
stolzer Trivialliteraturautor hätte ich die Sache nur verlieren können.  
Nein, ich habe mich an anderen Diskussionen beteiligt. An den  
Diskussionen, die das Buch betreffen, das wir lesen mussten.  
Meistens, gut, ich gestehe es, habe ich diese Diskussion begonnen.  
Bliblablubs hat dies und das geschrieben, um dies und das zu  
verdeutlichen.  
Da hebt sich doch nur mein Augenbräuchen, um die zähe Langeweile  
zu bekämpfen, richtet das giftige Teufelsköpfchen und wirft irgendwas  
nettes ein wie: „Mit anderen Worten, wir versuchen nett zu  
umschreiben, dass die Figur einfach nur sexistisch und pädophil ist.“  
Natürlich darf eine Figur in einem literarisch wertvollen Werk nicht  
pädophil sein, nur weil sie mit einer Vierzehnjährigen liebäugelt. Ich  
meine, wie könnte sie! Literarisch wertvoll. Haarscharf an irgendwas  
Tollem vorbeigeschrammt.  
58  
Aber an der Sache, an der kann man sich aufhängen. Die einen sagen  
„Klar, der ist sexistisch und pädophil und einfach nur widerlich“. Die  
anderen sagen „Zeitgeist“. Klar, schon. Aber … iiih!  
Wie kann man ein Buch toll finden, in dem sich alles darum dreht, dass  
ein fast Achtzigjähriger einer Sechzehnjährigen hinterherjagt, sie ihrem  
Verlobten ausspannt, sie mehr oder weniger vergewaltigt, den  
Verlobten umbringt und abzischt, als wäre nichts geschehen?  
Da kann man doch schon eine dezente Frage einwerfen, wie „Weiß  
man etwas über die psychische Stabilität des Verfassers?“  
Weil, klar, Zeitgeist, aber, im Ernst. Im Ernst! Was ist das bitte?  
Ich wäre traumatisiert aus diesen Seminaren rausgegangen, wenn ich  
nicht meine koketten Fragen gestellt hätte. Irgendwas dezent  
freundliches wie: „Hätte man diese Thematik nicht an einem weniger  
schwammigen Buch ausarbeiten können?“  
Man kann sich vorstellen: Einige Dozenten haben mich geliebt (weil,  
naja, ihr Job beschränkte sich von nun an auf das Aufrufen der  
einzelnen Studis und sonst konnten sie sich zurücklehnen und mit mir  
gemeinsam grinsen) und einige Dozenten haben mich wegen meines  
erschreckenden Unverständnisses von der Deutschen Literatur  
gehasst.  
Wie könne ich dieser Figur unterstellen, sie sei pädophil! Das Buch  
wurde Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts verfasst, da war es fast  
normal, als Siebzigjähriger in Deutschland einer Vierzehnjährigen  
hinterherzujagen und sie zu vergewaltigen. War ganz normal und ganz  
natürlich. Das ist genau die wertvolle Literatur, die die künftigen Lehrer  
Achtklässlern auftischen sollten.  
Weil? Damit sie nicht dazu verleitet werden, Trivialliteratur wie „Fifty  
Shades of Grey“ zu lesen und sich gleich noch eine andere Perversion  
aus den Seiten saugen?  
Rückblickend ist es wahrscheinlich verwunderlich gewesen, dass  
dieser den betreffenden Autor liebende Prof mich nicht einfach vor die  
Tür gesetzt hat. Und rückblickend ist es verdammt clever, dass ich bei  
ihm nie wieder ein Seminar belegt habe und mich dafür entschieden  
habe, eine Klausur in der Vorlesung zu schreiben, um das Modul  
abzuschließen. Bei dem meine Hausarbeit zu schreiben? Puh, das  
wäre dünnes Eis geworden.  
59  
Für mich war die Literaturwissenschaft der Teil des Studiums, den ich  
nutzte, um den finstersten Teil meiner Seele baumeln zu lassen. Das  
Wundervolle war: die anderen sind darauf angesprungen, als ginge es  
um ihr Leben.  
An meiner Seite? Hatte ich zuverlässig Vivi und wenn mir die Stunde  
so viel zu langweilig war, dass ich mich nicht einmal zu einem  
provokanten Kommentar herabgelassen habe, war sie zur Stelle. Vivi  
ist niedlicher als ich. Sie ist kleiner, sie wirkt schüchterner, sie lächelt  
unschuldiger.  
Aber, verdammt, sie kann genauso fiese Fragen stellen wie ich.  
Während sie unter ihren langen Wimpern hervorlinst und die Hände  
über ihrem vollbeschriebenen Block faltet.  
Fragen wie: „Hätte sie nicht bemerken müssen, dass ein Fremder  
Mann in ihrem Bett liegt? Schließlich ist er fünfzig Jahre älter, riecht  
anders, bewegt sich anders.“  
Fragen, bei denen sich leider die meisten Diskussionen erübrigen und  
der Kurs sich in betretenes Schweigen hüllt, während ich grinse, als  
wäre ich vom Teufel höchstpersönlich besessen.  
Hach, ich weiß schon, mit wem ich mich in die gehaltlosesten  
Veranstaltungen stürze. Und Vivi? Vivi ist definitiv die beste  
Unterhaltung, wenn mich selbst die Motivation verlassen hat.  
An alle Profs, die mich über die Semester hassen gelernt haben:  
Schwamm drüber! Ihr bekommt irgendwann einen Studi, der noch viel,  
viel schlimmer als ich ist. Versprochen.  
60  
Der klassische Germanistikstudent  
Wer Germanistik studiert, strebt entweder Lehramt an oder eine  
journalistische, lektorarische (?) oder schriftstellerische Tätigkeit an.  
Oder, natürlich, einen hochqualifizierten Taxifahranstellung.  
Es ist also nur natürlich, dass ich mit den meisten Germanisten nicht  
so viel anfangen konnte.  
Auch weil häufig der erste Satz in den Literaturveranstaltungen war:  
„Ich will ja Autor werden.“  
Kleincel, mit über zehn Büchern im Handgepäck, drehte sich in diesen  
Momenten verständnislos um und kapierte nicht ganz, worauf diese  
Situation hier abzielte. Manchmal war das halt schon, naja, ohne  
irgendwen verletzen zu wollen, seltsam. Der Dozent fragt so, auf was  
man Germanistik studiert Lehramt, Bachelor, Master. Und die  
Antwort lautet Harz-4 mit Träumen. Pardon. Autor. Die Antwort lautet  
Autor.  
Die Germanisten waren mir also so ziemlich von Sekunde ein an  
paradox. Einige von ihnen gaben stolz zu, eine Brille zu tragen, ohne  
sie zu brauchen. Es wurde demonstrativ immer das iPad kein Tablet,  
ein iPad mitgeführt, auf dem demonstrativ Notizen gemacht wurden.  
Bei einigen Hardlinern türmten sich dann die Pflichtlektüre aus allen  
Kursen zu jeder Unterrichtsstunde und ich saß nur da und fragte mich,  
wo ich hier nur hingekommen bin.  
So muss sich eine Meerkatze fühlen, wenn sie in ein Gehege voller  
Schimpansen gesteckt wird. Die sind zu klug für die Meerkatze. Die  
Meerkatze konzentriert sich lieber darauf, auf die drei Sachen zu  
starren, die sie kann. In meinem Fall: Essen, Schlafen, Nerven.  
Während um mich herum die hochgebildeten Literaturakademiker  
begannen, sich hochgebildet über ihre hochgebildeten Literaturthemen  
auszutauschen.  
Darüber, wie literarischen wertvoll Kleist und Kafka seien und wie  
schockierend es doch wäre, dass niemand mit Kleist und Kafka etwas  
anfangen könne.  
Ich ging davon aus, dass diese Literaturkritiker aus Leidenschaft sich  
selbst auch als Person zählten sogar als ziemlich wichtige Person –  
also verstand ich nicht so ganz, worauf diese Gespräche  
hinauswollten. Was ist deren Mission? Mal ganz ehrlich? Niemanden  
61  
interessieren die toten Leute und deswegen unterhält sich jemand  
darüber? Hä?  
Ja, okay, wenn ich auf bockig schalte, da werde ich kleinlich. Und, ja,  
von mir aus, auch ich bin ein kleiner Fan von dem ein oder anderen  
etwas toterem Autor Hauptmann, ich liebe dich! Ich will ein Buch von  
dir.  
Aber das? Dieses ständige blasierte „Hach, ich habe das und das Buch  
gelesen und das hat mir ja sooo viel weitergeholfen“-Gequatsche, das  
hat mich so ziemlich von Sekunde eins an alle meine  
Lebensentscheidungen hinterfragen lassen.  
Ich dachte immer, die Musis wären versnobbt. Ich dachte immer, die  
Medis würden sich wichtig nehmen.  
Wer auch immer daran festhält, saß noch nie in einem Raum mit  
hochgebildeten, angehenden Literaturkritikern, Bestsellerautoren und  
international gefeierten Journalisten.  
Diese hochgebildeten, angehenden Literaturkritiker fanden ihren  
Messias in dem werten Herrn Prof. Dr. Halbe. Er muss ein Wunderkind  
auf seinem Gebiet sein, ihm wurde das fünfzig Mal zu oft gesagt, und  
alles, was ein Student anbringt, wird überheblich vom Tisch gewischt.  
Ein sehr interessanter Herr. Wirklich. Hat man die Klappe gehalten und  
nur zugehört, war die ein oder andere Sache, die er von sich gegeben  
hat, schon ziemlich inspirierend.  
Zu einem ähnlichen Schluss schienen auch die Damen und Herren  
gekommen zu sein, die normalerweise mit ihrem iPad unter dem Arm  
und ihren demonstrativ positionierten Lektüren darstellten, wie  
unglaublich unverzichtbar sie in jeder einzelnen, verdammten  
Diskussion sind. Sie hielten die Klappe und himmelten den Prof an, als  
wäre er Jesus. Es wurde eifrig mitgeschrieben, eifrig genickt und  
verdammt noch einmal nie hinterfragt.  
„Eine große Geschichte ändert sich nicht.“ So eine steile These des  
Autors. Eine große Geschichte, das sind knapp heruntergebrochen  
unumstößliche Tatsachen wie zum Beispiel, dass die Erde rund ist.  
Ich wies den Prof unauffällig darauf hin, dass die Erde zwar immer eine  
Kartoffel gewesen sein mag, aber über Jahrhunderte die Überzeugung  
bestand, dass sie eine flache, kleine Knusperwaffel wäre, die die  
bösen Leute einfach von ihrer Kante kickt.  
62  
Eine der seltenen Gelegenheiten, zu denen dieser Prof einen  
Studenten nicht milde lächelnd in der Luft zerrissen hat, sondern  
eingeräumt hat, dass sich einige wenige große Geschichten doch hin  
und wieder ändern.  
Aber, naja, Profs wissen viel. Der wusste wahnsinnig viel und, obwohl  
ich ihn gehasst habe, habe ich mich in jede seiner Vorlesungen  
gesetzt, nur weil sie irre interessant waren. Nur, weil ein Mensch viel  
weiß, muss das nicht heißen, dass er alles weiß.  
Natürlich nicht die gängige Meinung der empört nach Luft japsenden  
Literaturkritiker in Spe, denen ich niemals in tausend Jahren verraten  
hätte, dass ich Bücher schreibe, weil, verdammt noch mal, selbst  
Trivialliteratur wäre relevanter gewesen als die groschenhafte  
Trivialliteratur, die ich verfasse.  
Weil Jugendbücher Schund sind. Und Bücher für junge Erwachsene  
auch. Man sollte sie verbieten!  
Nieder mit den Jugendbüchern. Am Samstag eröffnen wir einen  
Scheiterhaufen für unwürdige Literatur und bereinigen diese  
Studentenstadt von diesem dreckigen Buchstabenabdruck!  
Ne, wirklich. Ich habe diese Germanistikstudenten über Semester  
erlebt. Über viele Semester. Klar gibt es die netten Meerkatzen, die mit  
mir gemeinsam im Schimpansengehege sitzen und sich fragen, was  
sie in ihrem Leben verbrochen haben.  
Es sollte sich jedoch herauskristallisieren: der durchschnittliche  
Germanistikstudent ist wichtig. Sehr wichtig. Sehr, sehr wichtig, weil  
die Literaturwissenschaften weitaus revolutionärer sind als alle  
anderen.  
Ich finde das toll. Also, sich wichtig zu finden. Da gehe ich mit. Total.  
Aber so wichtig? Leute! Kultur hin oder her, man muss sich mit dicker  
Hornbrille und iPad nicht wie Krösus fühlen, nur weil man dem Prof  
nachplappert, was toll ist.  
Für mich sind gute Literaturkritiker die, die sich eine eigene Meinung  
generieren. Kann daran liegen, dass ich Null Verständnis für das Zeug  
habe, aber, Menschenskinder!  
So oft wie ich im Literaturunterricht schon in meine Socken gebissen  
habe, ist es ein Wunder, dass ich noch alle Zähne habe.  
63  
Aber, Schwamm drüber. Jeder braucht seinen Lebensinhalt. Jeder  
braucht sein Steckenpferd. Einige Steckenpferde arbeiten einen seit  
fünfhundert Jahre toten Autor auf und andere entwickeln einen  
dringend benötigten Impfstoff.  
Kleine Faustregel am Rande: Im Zweifel ist der übertote Autor immer  
wichtiger als ein dringend benötigter Impfstoff. Das wird euch jeder  
hochgebildete, angehende Literaturkritiker bestätigen.  
Großes Cel-Ehrenwort!  
64  
Husch und Weg  
Wenn es mal ein Seminar gab, das mich genug angeödet hat, damit  
ich die Klappe hielt, wussten die meisten nicht einmal, dass ich daran  
teilgenommen habe. Grund dafür ist meine beneidenswerte Fähigkeit  
als erster aus dem Raum zu sein. Und zwar ziemlich genau dann,  
wenn jeder andere anfängt, sein Zeug einzupacken.  
Diese Gabe habe ich mir nicht nur angeeignet, weil es zu Hause doch  
immer noch am schönsten ist. Auch, weil Menschen dazu tendieren,  
sich nach der Stunde über die Stunde austauschen zu wollen.  
Für mich ist das so: Ich habe das Seminar überlebt, ich rede nie wieder  
darüber, weil ich das Seminar überlebt habe und diese  
Überlebenskünste nicht leichtfertig aufs Spiel setzen will.  
Andere glauben scheinbar, eine wundervolle Quintessenz aus dem  
Gehörten ziehen zu können, wenn sie das Gesagte noch einmal  
minutiös durchkauen. Wenn man Pech hat, gerät man in einen  
rauchenden Durchkaustrudel und ist nicht nur erst viel später zu  
Hause, sondern muss sein ganzes Leben überdenken.  
Warum studiere ich? Warum studiere ich Das? Warum studiere ich an  
einem Ort, an dem es Menschen gibt?  
Wenn nicht die Sitzung noch einmal konzentriert wiederholt wird, wird  
gelästert und, man mag es mir nicht anmerken und ich bin sehr, sehr  
stolz darüber, aber, kleine Beichte, ich kann nicht lästern. Gar nicht. Ich  
stehe mit großen Augen daneben und weiß nicht ganz, was ich jetzt  
sagen sollte.  
Was juckt es mich, welche Jacke der Dozent heute getragen hat? Ich  
latsche zu jeder Jahreszeit mit der gleichen Strickjacke rum, als hätte  
ich nichts anderes zum Anziehen! Was juckt es mich, was die heute im  
Seminar gemacht hat? Wenn ich nichts zu der Stunde beitrage, bohre  
ich in der Nase und inspiziere die goldgrünen Schätzchen mit Lupe und  
Taschenlampe.  
Nene, alles soziale Gepflogenheiten, die irgendwie über meinen  
Horizont hinausgehen. Vor allem, weil so viele meiner Kommilitonen  
rauchen! Ja, ich weiß, viele große Literaten haben geraucht und  
gesoffen und gekifft. Aber, kommt schon! Leute! Unigebäude und mein  
empfindliches Näschen? Hallo? Die Klugscheißerin aus der zweiten  
Reihe mit ihrer nervigen Strickjacke fühlt sich verarscht?  
65  
Eine Ausnahme machte ich nur für Julia und Vivi. Nach dem ersten  
Semester nur noch für Vivi, weil Julia das Weite in der wichtigen  
Bankkauffrauwelt suchte (sehr interessant, was Julia da lernt, sehr,  
sehr interessant). Vivi huschte also mit mir im Rekordtempo aus dem  
Raum (kein Drängeln im Gang und im Türrahmen, einfach nur  
traumhaft), drehte sich pflichtbewusst mit dem Wind, damit der  
Zigarettenqualm nicht direkt in meine Nase wehte, sondern sich den  
Umweg über meinen Rücken nahm, und dann unterhielten wir uns  
über die wichtigen Dinge im Leben.  
Katzen. Meerschweinchen. Babykatzen! Das Dorfleben. Öhm, meine  
Geschwister. Damit ich auch etwas beizutragen habe und nichts über  
mich preisgeben muss. Vegetarismus. Weltgeschehen.  
Die wichtigen Sachen halt. Und eventuell hin und wieder ein  
herzhaftes: „Was war das gerade?“  
Eine Frage, die zumeist mit einem seufzenden „Uni“ beantwortet  
wurde.  
Die „Husch und Weg“-Taktik, die funktionierte übrigens nur bis vor die  
Tür. Danach wurde es voll, weil es ein Naturgesetz zu sein scheint,  
dass Raucher nur wirklich gut direkt vor einer Tür rauchen können. Die  
sanfte Wärme des Gebäudes im Rücken, aufgeregte Menschen vor  
sich, ihre Artgenossen dampfend und Rauchzeichen sendend neben  
sich.  
Ich blieb natürlich trotzdem. Ich meine, soziale Kontakte, Vivi, Geduld.  
Macht man schon einmal. Und dann lauschte ich den bedeutenden  
Ergüssen meiner Mitmenschen über all die Dinge, die ich irgendwie  
nicht ganz durchschaue.  
Es klingt wie das übelste Klischee, aber Partys gehören halt schon zu  
dem kleinen Ein-mal-Eins der Studigespräche. Früher diente die  
Sprache dem, dass man sich warnen konnte oder dem anderen  
mitteilen konnte, wohin er gehen muss, um weniger wahrscheinlich zu  
verhungern.  
Heute?  
Da saufen, hier, saufen, dort saufen. Dort günstig saufen und da mit  
Schaum saufen.  
Mit Schaum saufen?  
Mit Schaum saufen.  
66  
Lass mal mit Schaumparty saufen.  
Ja! Schaumparty saufen.  
Ich war unfreiwillig wieder auf dem neuesten Partyszenenstand, duftete  
nach dem unvergleichbaren Geruch von Zigarren, hauchzart in meiner  
Kleidung verankert, und konzentrierte mich nebenbei krampfhaft auf  
Vivis Katzenausführungen.  
Katzenausführungen wie: „Ich habe meiner Katze neues antiallergenes  
Futter gekauft und er überrascht mich jeden Morgen damit.“  
„Oh, wie lieb! Was macht sie denn?“  
„Sie kotzt es mir vor die Füße.“  
„Ach, wie lieb. Wie schön. Ja, wie toll.“  
Wann immer meine Antwort so ausfiel, wusste Vivi, dass meine  
Aufmerksamkeit von etwas anderem auf sich gezogen wurde. Sie  
saugte also zufriedener an ihrer Zigarette und wartete geduldig darauf,  
dass bei mir ankam, was ich gesagt hatte, und ich fauchend und  
wedelnd versuche, das Gesagte zu revidieren mit  
geistesgegenwärtigen Sätzen wie „Oh, sorry. Hab dir gerade nicht  
richtig zugehört.“  
Vivis Nicken war wohl Ausdruck genug dafür, dass ihr diese Sache  
keinen zusätzlichen Atemzug wert war.  
Was ich ihr nicht verübeln kann. Wirklich nicht! Wenn ich mich  
eigentlich in „Husch und Weg“ üben will und dann dazu bewegt werde,  
inmitten von Qualm Katzenerzählungen zu lauschen, kann ich schon  
etwas katatonisch wirken.  
Aber, was soll´s! Schwamm drüber. Für die Zukunft halte ich einfach  
noch starrsinniger an meinem „Hit and Run“-Prinzip fest. Ist schließlich  
der Anfang eines jeden guten Buchs. Einer jeden tollen Geschichte!  
Oder so.  
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Ur- und Frühgeschichte  
Im Studentenleben gibt es einige Veranstaltungen, die an eine  
Höchststrafe grenzen. In den Geisteswissenschaften gehört von  
vornherein jede Vorlesung dazu, in der man am Ende des Tages eine  
Klausur ablegen muss. Wenn diese Vorlesung sich dann auch noch in  
einem Themengebiet befindet, das einen überhaupt rein gar nicht  
interessiert, dann wird es halt richtig beschissen.  
Klar, ich studiere Geschichte, aber für mich wird die Sache so ungefähr  
ab Nappi interessant. Da haben wir das Heilige Römische Reich  
Deutscher Nation nach knapp neunhundert Jahren endlich abgehakt,  
sind in einer Gesellschaft angekommen, die ich mir vorstellen kann,  
haben ziemlich viele Literaturnachweise und Berichte und generell  
geschriebene Worte und können auf irgendwas zurückgreifen.  
Nachdem ich mich mit der Frühgeschichte auseinandersetzen musste  
(für ein ganzes Semester!), sollte ich euch vermutlich mehr über  
Blauzahn und die Karolinger erzählen können sollen. Tatsache ist  
aber: Scherben. Scherben! Und Gräber. Alles, was bei mir zu dem  
Unsinn hängengeblieben ist. Diese Scherbe gehörte zu diesem Krug  
und diese Art von Krug haben nur die hergestellt. Weil wir nur  
zwischen deren verbuddelten Hausüberresten einen passenden  
Henkel gefunden haben.  
Ich bekomme einen Kreischanfall, wenn ich auch nur daran denke!  
Nicht einmal hübsche Münzen. Nein, nein, das wäre ja zu interessant.  
Beschissene, verschieden geformte Tonkrüge. Und wir mussten  
sagen, welches Volk welchen bescheuerten Krug hervorgebracht hat  
und zu welchem Krug welche Scherbe gehört. Und die Medis  
beschweren sich über Histologie! Die können damit später vielleicht  
wenigstens was anfangen.  
Wie stellen sich die Dozenten die Scherbensorgen im Unterricht vor?  
„Hallo Kinder. Ich habe euch hier ein paar Scherben mitgebracht und  
ihr werdet mir sagen, in welchem Jahr welches Volk ähnliche Scherben  
produziert hat und dann schreiben wir einen Test darüber.“ Hä?  
Hähähä?  
Furchtbar, ganz furchtbar. Viele Broschen und Tierornamente, die am  
Ende des Tages nicht einmal mehr wie Tiere aussahen, sondern wie  
Schnörkel (wir sollten natürlich trotzdem wissen, welches Tier sich  
68  
hinter dieser verkrüppelten Blume zehnten Grades verbirgt) und hin  
und wieder Stofffetzen. Da ging die Nummer wieder von vorn los. Aus  
dem Material haben nur die und die ihre Kleidung gefertigt.  
Ja, toll! Holt euch eine Pizza und lasst mich in Ruhe mit dem Mist. Was  
soll das bitte?  
Zeichne ein, wann fünfhundert vor Christus welcher Stamm wohin  
gewandert ist. Woher wissen wir, dass die dahingewandert sind? Äh …  
Scherben?  
Und einzeichnen? In eine Karte? Ohne Landesgrenzen, weil, naja, die  
Sache fünfhundert vor Christus noch etwas salopper gehandhabt  
wurde. Also da ein Pfeil und da ein Pfeil und da einer und wenn ich  
Glück habe, neigt sich sogar einer von ihnen in die richtige Richtung  
und ich muss diese beschissene Klausur nicht wiederholen.  
Schaut her! Das ist ein toller Krug, oder? Wer hat den gemacht und  
welche Bedeutung hat er für die Wissenschaft?  
Der Krug ist nicht kaputtgegangen, okay? Reicht das nicht? Muss alles  
eine tausendfache Bedeutung für die Wissenschaft haben, nur weil  
jemand verpasst hat, den Krug im richtigen Moment vom Pferd zu  
werfen?  
Nein, wirklich. Ich habe gelitten. Ich habe gelitten! Zu welchem Volk  
gehörten diese Häuser. Kleiner Tipp: Sie hatten ganz besondere  
Maße?  
Was weiß ich? Wie soll das denn in tausend Jahren aussehen, wenn  
unsere Grundrisse untersucht werden? Haben dann plötzlich fünfzig  
verschiedene Völker nebeneinandergelebt, nur weil wir unsere Häuser  
alle unterschiedlich seltsam bauen?  
Klar, ich verstehe die Aufregung schon irgendwie. Hier haben wir  
Nachweise über Kulturen vor unserer Zeit. Aber es hätte mich schon  
deutlich mehr beeindruckt, wenn man durch diese Krüge hätte  
nachweisen können, dass die Dinosaurier eine ausgeprägte Liebe zu  
Töpferwaren besaßen. Wahrscheinlich gehe ich die Sache wieder zu  
ignorant an, aber ich bin schon davon ausgegangen, dass man das  
Wasser nicht nur aus Händen getrunken hat, sondern auch  
irgendwann auf die Idee kam, es in ein Behältnis zu füllen.  
Vernunftbegabtes Wesen und so.  
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Als wären die Torturen der Vorlesung noch nicht genug gewesen,  
musste man natürlich noch eine Klausur schreiben. So weit so gut. Als  
vorbildlicher Student habe ich mir die zu lernenden Folien zwei  
Wochen vorher runtergeladen.  
Es waren einfach über tausend Stück. Unübertrieben. In keinem  
anderen Modul hatte ich je wieder auch nur einen ähnlichen  
Lernaufwand. Gut tausend Folien mit Scherben und Steinen und  
Knöpfen. Und Münzen, Die Münzen nicht vergessen. Tausend Folien,  
die ich Steine lernen musste!  
Was davon soll ich meinen Schülern bitte beibringen?  
Wenn du in die Geschichte eingehen willst, verlier einen deiner Knöpfe  
und hoff darauf, dass er in zweitausend Jahren wiedergefunden wird?  
Für mich war das eine unglaublich frustrierende Aktion. Wir wissen halt  
kaum etwas über diese Zivilisationen, die sich außerhalb der  
Schriftsprache ausgelebt haben. Und? Dann belassen wir es halt  
dabei. Die „weiter entwickelten“ Kulturen haben sich ja nicht grundlos  
hingesetzt und über diese anderen Kulturen geschrieben. Wir müssen  
uns doch nicht krampfhaft irgendwas aus den Fingern saugen, nur weil  
auf unserem Gebiet keine Hochkultur existierte. Man muss aus einem  
Tonkrug auch keine Hochkultur machen und ein Schutzwall ist eine  
tolle Sache, aber den bauen sich auch meine Meerschweinchen, wenn  
sie vom anderen Meerschweinchen genervt sind!  
Schwamm drüber. Die Klausur wurde überstanden und bestanden, das  
Modul abgehakt. Und die Beobachtung angestellt, dass Frühhistoriker  
genauso staubtrocken sind wie ihr Fachgebiet.  
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Wie war ich?  
Die armen Profs müssen es über sich ergehen lassen, dass ihre  
Veranstaltungen anonym bewertet werden. Dafür wird eine Mail  
rumgeschickt und die Studis werden dazu aufgerufen, sich mal die Zeit  
zu nehmen ein paar Kreuzchen zu setzen. Einigen mag das  
vorkommen, als müsse man die Tinderdates, die man am liebsten  
sofort, augenblicklich, auf der Stelle vergessen will, mit Sternchen  
bewerten. Andere ergreifen vielleicht die Gunst der Stunde und würgen  
dem Prof anonym eins rein.  
Und andere sind vielleicht wie ich. Lieb und nett, mit einem  
entzückenden Lächeln auf den Lippen, sehr ambitioniert, nicht wirklich  
daran interessiert, dem Prof was Fieses vor den Latz zu knallen, und  
gibt ihm einfach überall die höchste Punktzahl.  
Gut, die meisten Professoren zeigen ihr Ranking stolz und bedanken  
sich freudestrahlend. Ich schätze, die meisten sind so lieb und nett wie  
ich, haben nichts kapiert und kreuzen trotzdem an, dass der Prof den  
Inhalt auf eine Weise vermittelt hat, dass man sich das Meiste auf  
Anhieb und bis in die galaktische Ewigkeit merken konnte.  
Ist ja auch ein seltsames Prinzip. Klar, im Kern gut, weil, naja, man darf  
Feedback geben und die Profs können sich daran orientieren, ihren  
Unterricht noch weiter verbessern und auf Augenhöhe mit den Studis  
interagieren.  
Die Realität? Einige reagieren wie gepuderte Zimtzicken, wenn nur ein  
einziger Aspekt in der anonymen Umfrage nicht so ausfällt, wie man es  
sich erhofft hat.  
„Ich finde nicht, dass mein Unterricht gehaltlos ist, aber die Sache ist ja  
auch anonym. Da kann man sich für die ein oder andere Zensur halt  
auf diesem Wege bedanken.“ So. Sinngemäß. Der Witz an der Sache?  
Der Prof hatte für die Informationsfülle seiner Stunden eine glänzende  
vier von fünf bekommen. Hallo? Das ist gut. Klar, man erhofft sich  
immer die gekrönte Fünf mit Sternchen und Kusshand und  
Pluszeichen, aber, komm schon! Das waren vier von fünf Sternen. Kein  
Professorenmobbing. Gar keines! Wir waren alle brav.  
Wahrscheinlich hat einfach niemand Lust darauf, dem Prof von  
„Angesicht zu Angesicht“ zu sagen, was er verbessern könnte.  
Deswegen gibt jeder von vorn herein fünf von fünf Sternen und hofft  
71  
darauf, dass der Prof sich für die liebe Bewertung mit einer humanen  
Klausur revanchiert.  
Andere Profs betteln hingegen fast um einen Kritikpunkt, aber, ich bin  
ehrlich. Nachdem ich den einen da austicken sehen habe wegen Vier  
von Fünf Sternen (achtzig Prozent, das ist Gut, verdammt, eine Zwei,  
eine verdammte Zwei!), glaube ich eher an eine neue Ebene des  
Fishing for Compliments.  
Natürlich sind nicht alle Profs so … leicht durch Bewertungen zu  
beeinflussen. Der Sehr geehrte Herr Prof Dr Neumann bewirbt zwar  
die Umfragen immer fleißig, wenn es aber dazu kommt, das Ergebnis  
zu nennen, kichert er in seinem Sessel nur vor sich hin.  
Achtung: Kichernde Professoren sind eine echte Gefahr für die  
studentische, leidende Miene. Vor allem, wenn sie sich frisch mit der  
Schafschermaschine haben die Haare schneiden lassen und ein T-  
Shirt tragen, das derart unlustig ist, dass es schon wieder lustig wird.  
Ich ziehe es vor, in den Seminaren zu jeder Zeit sterbensernst zu  
bleiben. Nicht, weil ich nicht gern lache. Nein, nein.  
Habe ich einmal nervös angefangen zu lachen, kann ich nicht mehr  
aufhören. Ein winziges Problemchen, das ich seit Anbeginn der Zeit  
habe. Das sich in der Schule als sehr unangenehm erwiesen hat. Oder  
in öffentlichen Verkehrsmitteln. Oder im Schwimmbad. Oder bei der  
Physiotherapie. Ein Problemchen, das ich ganz sicher nicht mit an die  
Uni nehmen wollte.  
Wann immer also ein Prof etwas Witziges tat, starrte ich konzentriert  
auf die Tischplatte vor mir, zählte die winzigen Kerben und atmete bis  
tief in den Bauch hinein. Fast so, als müsse ich mich selbst davon  
abhalten, dem Prof wegen seines schlechten Witzes an die Gurgel zu  
gehen.  
Der ein oder andere mag mich für verrückt halten, aber ich bin lieber  
die verrückte Psychotante als der kichernde Lachsack, der zehn  
Minuten Später bei dem Wort „Lava“ wieder anfängt zu lachen, dass  
die Tränen kommen.  
Jedem im Raum. Nicht nur mir. Ich will nicht vor die Tür gestellt  
werden, weil ich mich nicht einkriege. Ich will auch nicht das Ziel vieler,  
gemeiner Extrafragen werden. Nein, nein. Kein Interesse. Lasst mich  
alle in Ruhe damit.  
72  
Bei mir wird nicht gelacht!  
Und zumindest bei den „Wie war ich?“-Umfragen war es meistens kein  
Problem, ernst zu bleiben und sich selbst zu bemitleiden. Warum bin  
ich überhaupt hier? Warum habe ich den Prof überhaupt so gut  
bewertet, wenn er doch wieder nur in seinen Bart grummelt wegen Vier  
von Fünf verdammten Sternen? Was tue ich hier eigentlich noch?  
Lernen. Ich lerne an Menschen für Menschen. Weil das ja so toll ist.  
Ich lerne über menschliche Verhaltensmuster wie Lob ist böse. Mit Lob  
kann ich nicht umgehen. Woran zeigt es sich? Ich hacke auf meinen  
Fünf Sternen rum oder an meinen vier Sternen, weil das  
gerechtfertigter Weise mindestens ein halber zu wenig war.  
Professoren sind auch nur Menschen, sage ich mir nach solchen  
Sitzungen immer. Sie sind auch nur Menschen, die Liebe wollen. Und  
Anerkennung. Und ganz, ganz viel Lob und viel Schultergetätschle und  
noch mehr Anerkennung.  
Aber, Schwamm drüber, die Profbewertungen stehen nur einmal im  
Semester an. Irgendwann hat man es raus, sich nicht daran zu  
beteiligen, und wenn der Prof Pech hat, geht es ihm zum Schluss wie  
dem einen Dozenten, der vergessen hat sein „Wie war ich?“ zu  
bewerben: Er bekommt keine einzige Bewertung rein.  
73  
Bringt wer Eis mit?  
Es gibt wie immer solche und solche Professoren. Einige sperren dich  
im obersten Stockwerk bei vierzig Grad im Schatten und  
geschlossenen Fenstern ein, andere gehen raus und schleppen einen  
Karton Eiscreme an. Für das studentische Wohlbefinden und die eins  
Puls mit Sternchen in der Professorenbewertung.  
Andere, naja, hassen die Hitze gefühlt genauso sehr wie ich, sehen  
aber auch nicht ein, etwas dagegen zu unternehmen. Ich warte immer  
noch darauf, dass diese Profs die Arme bockig vor der Brust  
verschränken und sowas sagen wie: „Ich will auch nicht hier sein.  
Wenn Sie nicht alle hier sitzen würden, dann könnte ich mich in meinen  
Pool fläzen. Beim besten Willen, das ist alles nicht meine Schuld. Das  
ist auf Ihrem Mist gewachsen! Ganz allein auf Ihrem Mist! Lieber wäre  
ich arbeitslos, als Sie bei diesen Temperaturen unterrichten zu  
müssen. Ich hätte es auch lieber, wenn ich gehen könnte.“  
Natürlich bringt kein Prof dieser Welt eine Triade wie diese über die  
Lippen. Dafür hat man viel zu viel Stolz. Aber Eis mitbringen, das  
können sie auch nicht. Lieber wird rumgemotzt, böse geguckt und  
rumgemeckert, als würde dadurch das Hitzelevel ein winziges  
Bisschen reguliert werden.  
Die netten Eis-Profs erinnerten mich an meinen Physiklehrer der elften  
Klasse, der einmal den Fehler machte bei viel zu viel Grad die Jungs  
aus dem Kurs mit einem Zehner in der Hand zum Netto zu schicken  
und zu sagen „Haut das ruhig auf den Kopf“. Die Jungs ließen sich  
nicht lumpen und schleppten vier Packungen Eis an. Mit gut und gerne  
50 Einzeleises. Wahrscheinlich noch mehr.  
Für, einen Trommelwirbel bitte, acht Kursteilnehmer.  
Wir waren danach alle fett und unterkühlt und unser Physiklehrer hat  
nur jammernd den Kopf geschüttelt und nie wieder ein Angebot wie  
dieses unterbreitet. Irgendwie verständlich. Irgendwie schade.  
Die Profs an der Uni hatten aus den Fehlern der Lehrer gelernt und  
stellten uns bereits gekaufte Massen auf den Tisch. Wenn sie nett  
waren und gut im Professorenranking abschneiden und irgendwas  
vermitteln wollten. Und wenn es auch nur ein Zehntel dessen ist, was  
man normalerweise in seinem Seminar vermittelt.  
74  
Das ist lustig, weil, naja, in Geisteswissenschaften wird echt viel  
Gequatscht. Das wird vielleicht für ein Klischee gehalten, aber, Leute,  
wirklich, wirklich viel! Reden ist Gold und Schweigen Silber oder so.  
Wenn man also ein Zehntel von dem üblichen Unterrichtsinhalt  
vermittelt, kommt dabei vielleicht ein Stichpunkt rum. An einem guten  
Tag. Die Medis lernen in einer Vorlesung so viel wie wir in einem  
halben Semester!  
Deswegen, naja, Eis ist so ein bisschen die fadenscheinige  
Rettungsleine.  
Bei einem meiner Pros etablierte sich während des heißen,  
gnadenlosen, die Küste in eine Wüste verwandelnden Sommers das  
saloppe „Bringt wer Eis mit?“ und, ich sag es euch, nie habe ich einen  
Prof mehr geliebt. Wahrscheinlich wollte er auch nur gegen die  
Abwanderung seiner Studis arbeiten. Schon doof, wenn man immer  
nur die halbe Besetzung im Raum hat und entweder in Kauf nehmen  
muss, dass man gefühlt alles wiederholt bis ans Ende aller Tage oder  
des Sommers oder des Semesters (also bis ans Ende aller Tage). Der  
kluge Prof hat sich also pro Sitzung einen Studi gekrallt, der mal sein  
Portemonnaie öffnen und Eis holen sollte. Weil, naja, der Prof hatte  
schließlich die erste Runde schon ausgegeben und so hoch scheint  
das Gehalt dann auch nicht zu sein, um bei jedem Kurs fünf Euro für  
Fertigeis auf den Tisch hauen zu können.  
Wenn Studis nicht geizen, dann bei zwei Dingen: Alkohol und Eis. Also  
verschwand ein Studi für zwanzig Minuten, man nahm in Kauf, dass  
einer die Hälfte der tödlich wichtigen Sitzung verpasste. Dann tauchte  
er irgendwann auf, wurde jubelnd empfangen, jeder liebt den Studi,  
jeder liebt den Prof, weniger Studis verschwinden ans Meer, weniger  
nervige Wiederholungen sind an der Tagesordnung, das Seminar ist  
ein voller Erfolg. Trotz Sommer!  
Das ist eh so ein Witz. Die einzigen, die in ihren Sälen Klimaanlagen  
haben, sind die Medis und die Maschinenbauer. Also alle, die später  
mal was für unsere Wirtschaft tun. Die Geisteswissenschaftler werden  
in die ältesten Gebäude und dort in die obersten Geschosse ohne  
Klimaanlagen einquartiert.  
Wer soll denn da noch denken?  
75  
Die offizielle Variante lautet zwar, dass man einfach nicht genug  
Gelder hat, um alle Räume angemessen für den wirklich, wirklich  
bösen Sommer auszustatten. Meine Theorie ist, dass man die  
Geisteswissenschaftler ein wenig ausdünnen will, damit auf den  
Trinkabenden weniger rumphilosophiert wird, ohne dass irgendwas  
dabei rumkommt.  
Außer natürlich die intellektuelle Überlegenheit desjenigen, der seine  
geisteswissenschaftlichen Ergüsse auf die Welt losgelassen hat.  
Der Sommer in der Uni existierte gefühlt nur, um die Säle leerzufegen  
und die Studis daran zu erinnern, aus welchen Gründen sie  
Pflichtveranstaltungen hassen. Kleiner Tipp: Weil man nur zweimal in  
einer Pflichtveranstaltung fehlen darf und man sich diese zwei  
Freistunden in einem achtwöchigen Hitzesommer weise wählen sollte.  
Sehr, sehr weise.  
Nur um festzustellen, dass der heißeste Tag erst noch auf sich warten  
lässt.  
Einige Profs linderten diese seelischen Studischmerzen mit einem Eis.  
Andere … zogen ihr Programm gnadenloser denn je durch, schimpften  
auf die leeren Säle (was dann logischerweise nur diejenigen zu hören  
bekamen, die sich dazu durchgerungen hatten, den hochwichtigen  
Ergüssen des Profs zu lauschen) und überzogen volle fünf Minuten,  
weil wir ja so beschissen mitgearbeitet hätten.  
Aber, Schwamm Drüber. Im nächsten Leben studiere ich einfach  
Medizin. Da habe ich einen gut bezahlten Job in Aussicht, klimatisierte  
Hörsäle und darf mich wichtig nennen, noch bevor ich weiß, wie man  
jemandem Blut abnimmt.  
76  
Das Trauerspiel mit der Technik  
Man sollte meinen, die technische Inkompetenz hätte man mit der  
Schule hinter sich gelassen und jeder Professor ist Überflieger genug,  
um eine elektrische Tür schließen zu können oder um einen Pc An und  
Aus zu schalten. Oder, die Königsklasse, das Mikro zu dem Pc zum  
Laufen bringen zu können.  
Kleine Faustregel: Je höher der Bildungsgrad, desto desaströser das  
technische Verständnis. So kann es passieren, dass eine Professorin  
nicht dazu in der Lage ist, den Schlüssel so zu drehen, dass die  
elektrische Tür sich schließt.  
Oder dass der Professor noch nie diesen kleinen Lautsprecher  
angeklickt hat, damit der Ton aktiviert wird.  
Es gibt in solchen Situationen drei Arten von Studenten. Die, die zu  
sehr in ihre Handys vertieft sind, um irgendwas mitzubekommen. Die,  
die echt keine Ahnung haben. Und die, die einen möglichen Ausweg  
aus dem Dilemma sehen, aber keine echte Lust haben, dass der  
Unterricht beginnt und deswegen unschuldig an die Decke starren.  
Ich gehörte zur Gruppe drei, sollte mich vermutlich dafür schämen,  
hatte aber eh überall den Streberstempel weg, wollte mir also diese  
Kante nicht auch noch geben. Also beobachtete ich die Professoren  
zumeist fasziniert dabei, wie doof man sich anstellen kann.  
Zugegeben, ich bin auch kein Überflieger, was das technische  
Verständnis angeht. Ich habe das Internet gelöscht! Jeder sagt, das  
geht nicht, aber das Ding, auf das man klicken kann, damit man in die  
magischen Weiten des Internets entschwinden kann, hat sich durch  
einen unschönen Zufall einfach aus meinem Laptop verdünnisiert. Der  
IT-Mann fand die Angelegenheit damals ziemlich witzig. Ich habe bis  
heute keine Ahnung, wie ich das geschafft habe.  
Aber sogar ich weiß, wie man ein Word-Dokument zu einem PDF-  
Dokument konvertiert. Sogar ich weiß, dass, wenn der Lautsprecher  
durchgestrichen ist, da nicht allzu viel zu holen ist und sogar mir ist  
klar, dass man auf das Plus drücken muss, damit das Worddokument  
herangezoomt wird.  
Ihr könnt mir nicht erzählen, dass niemand im Raum außer mir diese  
kleinen Grundschritte verinnerlicht hat. Ihr könnt mir nicht erzählen,  
dass die Nerds mit ihrem iPad, oder wenn die Eltern richtig Geld  
77  
haben, mit ihrem Mac-Book, das sie am armen Mac-Book-Ohr packen  
und mit sich herumzerren, dass die nicht wissen, wie man ein  
Worddokument vergrößert. Könnt ihr mir nicht weismachen.  
Konnte man auch den Professoren nicht weismachen, die sich  
irgendwann wutentbrannt umdrehten und auf eine sinnvolle Antwort  
hofften. Auf diese Antwort pochten. Damit drohten, dass die Sitzung  
ausfällt, was eigentlich toll ist. Aber natürlich bedeuten würde, dass wir  
alle einfach so einen Fehltermin bekommen, obwohl wir doch da sind!  
Das war immer der Moment, zu dem ein heldenhafter Studi sich  
bekannte, schwer seufzend aufstand, nach vorn stapfte, auf den  
Lautsprecher klickte, auf das kleine, süße Dreieck klickte, sich ein  
gezwungenes Lächeln abkämpfte und somit den Grundstein dafür  
legte, dass der Unterricht beginnen konnte.  
Der vielgelobte Held des Professors. Der noch immer halbwegs  
akzeptierte Kommilitone von all jenen, die darauf gesetzt haben, dass  
der Prof die nächsten fünf Stunden damit verbringt, die Technik  
zurechtzumodeln, sich einen IT-Experten zu holen, mit dem Kopf auf  
den Tisch zu schlagen, sich darüber zu beschweren, wie ungerecht die  
Welt ist …  
Man sollte meinen, Geschehnisse dieser Art kommen nicht so oft vor.  
Weil meistens merkt sich ein halbwegs vernunftbegabtes Wesen ja,  
wie es ein Problem beheben kann, sollte es häufiger mit diesem  
Problem konfrontiert werden.  
Ich habe mir zum Beispiel gemerkt: Quatscht dich jemand blöd von der  
Seite an, sagst du einfach Danke und lächelst lieb. Funktioniert immer.  
Ist der Geheimtipp.  
Aber Profs, die haben ja ihre Studenten und dass die Studenten nur  
halb so interessiert daran sind, ihnen zu helfen, wie sie hoffen, das  
scheinen die Profs noch nicht ganz verinnerlicht zu haben. Dass das  
dem Prof helfen schnell zu einem ambitionierten Rufmord werden  
kann, das scheint dem Prof nicht einmal in den Sinn zu kommen.  
Schließlich ist er der Gott, der fröhlich Informationen und Wissen  
vermittelt und das ist wirklich, wirklich toll! Toller, als ich vielleicht  
zugeben will. Aber nur weil sie das Wissen vermitteln und ich das toll  
finde, bedeutet das nicht, dass meine Kommilitonen Lust darauf haben,  
heute unterrichtet zu werden. In dem Vorlesungssaal zu sitzen, das ist  
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nicht gleichbedeutend mit dem Wunsch, in dem Vorlesungssaal zu  
lernen. Man könnte so viel mehr tun! Beispielsweise shoppen. Tindern.  
Lesen. Shoppen. Chatten. Nachsehen, was die Mensa im Angebot hat.  
Ich meine, wer bin ich schon, dass ich dem Prof unter die Arme greife,  
damit er in Frieden unterrichten kann?  
Ich bin der klugscheißende, Öl ins Feuer gießende Klugscheißer, der  
zu jeder Jahreszeit die gleiche Jacke trägt und schneller aus dem Saal  
ist, als der Prof „Das war es für heute“ sagen kann. Hallo? Ich  
balanciere auf Messerschneide zwischen hauchdünner Akzeptanz und  
wutschnaubendem Hass.  
Als würde ich da meinen Nicht-Ruf aufs Spiel setzen, damit der Prof  
sein Dokument vergrößern kann. Ich bin doch nicht doof.  
Schwamm Drüber?  
Nichts Schwamm Drüber! Bei dieser Überzeugung werde ich bleiben,  
bis ich eines Tages einkompostiert irgendwo vor mich hingammle und  
bereue, nicht mehr für mein Karma getan zu haben.  
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Der Herr Doktor  
Was Viele nicht wissen: Es scheint so, als sei man verpflichtet,  
regelmäßig Veranstaltungen abzuhalten, wenn man sich mühsam  
seinen Doktortitel ergattert hat. Man muss seine Arbeit also nicht nur  
von hundert verschiedenen Menschen beurteilen lassen, so wie denen  
gerade die Laune steht. Nein, nein, man muss auch noch eine Uni  
betreten und desinteressierten, verzogenen Gören versuchen, ein  
winziges Bisschen Wissen in den Kopf zu pressen. Wobei man nicht  
nur via Zuckerbrot und Peitsche agieren muss, sondern auch mit  
großen Augen und ganz viel Bitte Bitte. Weil Studierende grausam  
sind. Jeder, der was anderes behauptet, lügt oder will euch was  
verkaufen. Ach, was. Der will euch nichts verkaufen. Der ist einfach nur  
ein mieser, fieser Betrüger. Punkt!  
Hin und wieder ist mir das Missgeschick unterlaufen, bei einem  
Unglücksraben dieser Art ein Seminar zu belegen. Mit den Seminaren  
und der plötzlichen Verantwortung gingen die jeweiligen Herr Doktoren  
recht unterschiedlich um.  
Ich hatte einen, der war hochmotiviert und hat uns als Alternative für  
unsere Hausarbeit angeboten, dass wir ein wissenschaftliches  
Buchkapitel verfassen können. Ihr könnt es euch vorstellen: Ich war  
eher so semibegeistert. Das mag etwas seltsam klingen, aber während  
ich im privaten Leben mit einundzwanzig Jahren über 40 Bücher in den  
Kasten bekommen habe, bin ich erstaunlich unmotiviert, sobald es  
darum geht, ein Buch oder auch nur ein Kapitel zu schreiben, weil man  
es von mir will. Weil ich eine Zensur darauf bekomme.  
Weil ich da vermutlich irgendwie den Deutschunterricht der siebten und  
achten Klasse noch sehr lebhaft vor Augen habe und mir da recht  
regelmäßig Zweien und Dreien für meine „kreativen Schreibergüsse“  
hinterhergedonnert wurden. Für einige mag das doch ganz okay  
klingen, aber ich bin ein spießiger Einserschüler gewesen. Vor allem in  
Deutsch! Dass man mir auf eine Sache wie kreatives Schreiben nie  
eine Eins gegeben hat, das schmerzt mein kleines Seelchen noch  
immer und verankert tiefe Komplexe auf dem armen Seelchengrund.  
Jaja.  
Meine Motivation also, meine Schreibergüsse irgendeinem Professor  
oder anders gearteten Dozent zu zeigen? Eher unter dem Nullpunkt.  
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Aber, naja, weil dieser Dozent wirklich, wirklich lieb war mit seinem  
Bubigesicht und seinen großen, flehenden Kulleraugen und  
niemandem das Nichtwissen um die Ohren gedonnert hat und wirklich,  
wirklich verständnisvoll war, wenn wieder neunzig Prozent des Kurses  
den Text nicht gegeben haben, musste ich ihn natürlich mit meinen  
Schreibergüssen beglücken.  
Auch, weil ich sonst meine Prüfungsleistung nicht erbracht hätte.  
Offiziell, weil ich den Dozenten mochte. Inoffiziell, weil ich bestehen  
wollte. Aber was soll es. Was soll es! Er wusste meine wissenschaftlich  
angehauchten Schreibergüsse über die finanzielle Notlage der  
Seefahrer in der Frühen Neuzeit zu würdigen und ich wusste es zu  
würdigen, dass meine übrigen Kommilitonen augenscheinlich so  
beschissen waren, dass wir nicht dazu gezwungen wurden, die Kapitel  
zu überarbeiten, bis man das Buch zur Veröffentlichung freigeben  
konnten.  
Gerade noch einmal Glück gehabt!  
Das ist die coole Variante des zurück an die Uni gezwungenen Herrn  
Doktors. Die unschöne Variante ist der „Ich habe echt keinen Bock und  
hasse mein Leben“-Typ, der diese Anflüge deutlich, nennen wir es,  
unterschwelliger ausführt als jeder Professor, der seinen  
Professorensitz so sicher hat wie das nächste Monatsgehalt. Diese  
zweite Variante des Herrn Doktors veranstaltet seine Seminare online,  
ist nicht in der Lage, sich in ein eMail-Postfach einzuloggen und leider  
auch zu doof, Zoom zu öffnen.  
Bereitet mal irgendein Thema vor.  
Okay. Wird gemacht.  
Ja, keine Zeit, das alles zu machen. Schickt es mir mal zu.  
Okay, wird gemacht. Wird gemacht.  
Keine Lust es zu lesen. Mach mal ein Essay draus.  
Ich hasse Sie, ich hasse Sie, ich hasse Sie. Hier mein Essay.  
Zufrieden?  
Ja, hab die Essays verloren. Ihr besteht einfach alle, okay?  
Was zur Hölle ist das? Also, klar, danke, dass wir alle bestanden  
haben, weil wir alle sklavisch uns abgerackert haben, um die  
zwanzigseitige Hausarbeit auf ein zweiseitiges Essay zu kürzen, das  
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nie gelesen wurde, aber, hallo? Was war das? Ist das noch  
pädagogisch wertvoll oder kann das weg?  
Nicht, dass ich dem Herrn Doktor seine Demotivation verübeln könnte.  
Ich hätte vermutlich tendenziell auch überhaupt keine Lust,  
undankbare Studenten unterrichten zu müssen, wenn in London meine  
Forschung auf mich wartet und so viel vielversprechender aussieht als  
die stumpf in ihr Handy starrenden Studis.  
Aber … aber … aber nur weil ich sage, ich verstehe ihn, muss ich das  
noch lange nicht gut finden. Genau! Ganz genau. Ich finde das nämlich  
total doof.  
Alles beides, um genau zu sein.  
Die außerhalb der Uni arbeitenden und forschenden Herrn Doktoren  
erinnern mich ein wenig an Referendare. Entweder man merkt, wie sie  
sich durch ihr gesamtes Studentenleben gemogelt haben und weiß  
ganz genau, dass sie sich auf die gleiche Weise in den Beamtenstatus  
mogeln werden. Oder man spürt bis in die letzte Faser diese  
unsagbare, unvergleichliche, einzigartige und kreative Motivation des  
armen Herrn Doktors, der doch eigentlich auch nur will, dass die  
Studierenden ihn nach diesem Seminar nicht hassen, sondern immer  
noch freundlich grüßen.  
Die Damen und Herren mit dem Doktortitel. Die Referendare der Uni.  
Wenn das je ein Doktorand zu lesen bekommt, der sucht mich und  
vermöbelt mich mit genau diesem Buch.  
Aber, Schwamm Drüber! Wenn mein Hauptprojekt schon trivial ist,  
dann ist es ein satirisches Konzept voller „Schwamm Drübers“ erst  
recht.  
Darauf einen Mandarinensaft.  
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Fahr mal  
Wer mich kennt, der weiß: Ich bin nicht nur ein klugscheißender  
Alkoholabstinent aus Überzeugung mit vegetarischen und provokanten  
Anwandelungen und einem Modegeschmack, der sich „das lag im  
Schrank oben“ schimpft, sondern auch ein Autofahrphobiker. Ich steige  
nur bei denen ins Auto, die ich sehr gut kenne und denen ich von  
ganzem Herzen vertraue.  
Weil, naja, ich zu meiner Musikschulzeit bei einer Mitmusizierenden in  
die kleine Klapperkarre gestiegen bin und sie bei Nacht durch eine  
Dreißigerzone im Wald mit gut achtzig gebrettert ist und ich so eine  
verdammte Angst um mein Leben hatte, das könnt und wollt ihr euch  
nicht vorstellen. Die Abdrücke meiner Fingernägel finden sich  
garantiert immer noch im Sitz. Und der Schrei, der wartet immer noch  
darauf, dass ich ihn verzweifelt und dem Tod ins Auge blickend  
ausstoße, während mein gesamtes, viel zu kurzes Leben an mir  
vorbeizieht.  
Wer mich kennt, weiß allerdings auch, dass ich meine Phobien nicht so  
an die große Glocke hänge. Dass ich zwar fahren kann, aber im Leben  
nicht daran denken würde, meinen Führerschein zu machen oder  
außerhalb einer Notfallsituation ein Auto zu lenken, das wissen nur die  
Allerallerwenigsten.  
Und die, die mich gefragt haben, ob ich sie nicht kurz zum nächsten  
Campus mitnehmen kann. Oder zu diesem oder jenen Wandertag.  
Ja, Wandertage gibt es auch noch in der Uni und sie sind gar nicht mal  
so cool. Zumindest die, an denen ich bisher teilnehmen durfte, haben  
mich eher weniger überzeugt. Auch Dank der Zielauswahl. Das kleine  
Museum direkt neben dem Unihauptgebäude. Was an sich cool ist,  
aber ich gehe da halt schon von mir aus regelmäßig hin. Ist also schon  
nervig. Und ich verstehe auch nicht ganz, wozu man ein Auto braucht,  
um eine Strecke von zwei Kilometern (von einem Campus zum  
anderen) hinter sich zu bringen. Aber da spricht vermutlich nur der  
spießige Fußgänger aus mir. Sehe ich ein. Gebe ich zu. Keinen Grund,  
mir einen Autovortrag zu halten.  
Die häufigste Reaktion meiner Kommilitonen auf meine Beichte hin,  
dass ich kein Auto fahre?  
Warum.  
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Ja, warum wohl? Sehe ich aus, als könne ich Auto fahren? Gut, nach  
jetzigem Stand will ich das Cover von meinem grenzdebilen Grinsen  
verschonen, aber auch wenn ihr mich aktuell nicht sehen könnt, sehe  
ich für euch aus, als könnte ich Auto fahren? Hat irgendeine  
Ausführung in einem dieser Kapitel euch Lust darauf gemacht, mich als  
einen Verkehrsteilnehmer mit mehreren PS unter sich begrüßen zu  
dürfen?  
Kleiner Tipp: Die richtige Antwort lautet Nein. Nein, man will mich nicht  
als Verkehrsteilnehmer begrüßen, weil ich langsamer als eine  
achtzigjährige Oma mit Seh- und Hörschwäche fahren würde, der  
beide Beine amputiert wurden. Ich wäre eines dieser lebendigen  
Hindernisse auf der Autobahn. Und nur, weil ich plötzlich katatonisch  
geworden bin, weil ich die richtige Ausfahrt nicht finde. Hilfe?  
Nein. Nein, nein. Es ist schon alles gut so. Ich bleibe treuer Fußgänger,  
Fahrradfahrer und ÖPNV-Nutzer, tue etwas für die Umwelt und für die  
Sicherheit des Straßenverkehrs und werde nicht in tausend Jahren  
etwas daran ändern. Vergesst es einfach.  
Meine Antwort an meine Kommilitonen ist natürlich nicht ansatzweise  
so vertrauensvoll und ausführlich wie meine Antwort an euch.  
Wenn die mich fragen: Warum fährst du kein Auto.  
Dann sage ich: Sehe ich so aus, als wolltest du mich im  
Straßenverkehr begrüßen wollen? Dann grinse ich dämlich. Die  
meisten weisen mich zum Glück nicht daraufhin, dass ich als  
Fußgänger längst am Straßenverkehr teilnehme, und falls sie doch  
meine kleine Logiklücken aufspüren, verziehe ich wehleidig das  
Gesicht, seufze schwer und gehe strafend den Kopf schüttelnd meiner  
Wege.  
Das ist auch eine Art, um zu sagen: Nein, liebe Leute. Nein, nein. Ich  
werde nicht binnen der nächsten fünf Tage lernen, Auto zu fahren, nur  
damit du deine süßen, kleinen Beinchen nicht benutzen musst. Oder in  
keine der Straßenbahnen steigen musst.  
Natürlich mache ich Ausnahmen mit dieser Autofahrsache. Natürlich!  
Ich meine, sollte jemand einen Herzinfarkt erleiden während der Fahrt  
und ich die einzige andere Person im Auto sein, natürlich würde ich  
den Wagen pflichtbewusst gegen die nächstbeste Leitplanke lenken  
und die Gangschaltung so verkeilen, dass sie das Auto blockiert. Und  
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im Notfall würde ich natürlich auch das Lenkrad in die Hand nehmen  
und denjenigen ins Krankenhaus fahren.  
Aber sonst?  
Ich bin die auf dem Beifahrersitz, die anfängt rumzuquietschen, wenn  
der Fahrer zwanzig km/h zu schnell fährt. Weil das gefährlich ist und  
diese Gesetze ja nicht einfach so gemacht werden und weil, naja, weil  
Autofahren gefährlich ist!  
Da sterben viele Menschen und wenn ich jung sterben muss, dann  
bitte episch und einzigartig und nicht, indem mich irgendein Fremder  
gegen den nächsten Baum donnert und sich freut, dass ich ihn künftig  
nicht mehr werde nerven können. Bevor er kapiert, dass er selbst bei  
dem Unfall draufgegangen ist.  
Egal. Schwamm Drüber!  
Risikobereite Menschen leben am längsten. Oder so.  
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Die Sitzung zur Problemlösung  
Bei einigen Professoren da fragt man sich schon, ob sie ihren  
Professorentitel im Lotto gewonnen haben. Nicht, weil sie nicht dazu in  
der Lage sind, ein Dokument zu vergrößern oder, die Meisterdisziplin,  
auszudrucken! Sondern weil sie nicht einmal das in die Tat umsetzen  
können, was sie theoretisch unterrichten.  
Was erwarte ich von einer Vorlesung, die das Thema „Problemlösung“  
für eine Sitzung gewählt hat? Natürlich, dass man uns beibringt,  
Probleme zu lösen. Was auch sonst.  
Was ich nicht erwarte? Dass der Prof zwanghaft an dem defekten  
Overheadprojektor herumdrückt. Geschlagene neunzig Minuten lang.  
Für alle, die nicht wissen, wie lang so eine Vorlesung dauert: Ungefähr  
neunzig Minuten. Immer abhängig von der Laune des Profs.  
Zugegeben, in den meisten seiner Vorlesungssitzungen glänzte ich mit  
Abwesenheit. Einfach, weil ich den Prof nicht ausstehen konnte und er  
nie auf den Punkt kam. Irgendwann fing er während des „wie gehe ich  
richtig auf Schüler ein“-Vortrags mit der Diskriminierung von  
Linkshändern an. Nicht durch das, was ihr jetzt vielleicht denkt.  
Sondern durch Kuchengabeln und den Aufdruck auf  
Werbekugelschreibern.  
Nach dieser Sitzung hatte ich beschlossen, was der versucht mir  
beizubringen, das vermittelt mir ein Buch tausendmal besser und  
spaßiger.  
Aber Problemlösung, das ist halt schon eine interessante Sache. Wenn  
ich ein Problem habe, dann starre ich es meistens an und hoffe darauf,  
dass es weggeht. So, wie meistens ein Feuer nicht nur erlischt, weil  
man es anstarrt, befürchte ich auch, dass Schüler nicht einfach lieb  
werden, nur weil ich Bitte sage. Oder dass das Whiteboard sich wieder  
aktiviert, nur weil ich verständnisvoll nicke.  
Also die Sitzung zur Problemlösung und ich setzte alle meine  
Hoffnungen auf die Kompetenz des Profs.  
Wie die Stunde begann?  
Er kam fünfzehn Minuten zu spät, weil er vom Fahrrad gefallen war.  
Wer fährt bei Glatteis Fahrrad? Dieser agile Herr mit seinem trendy  
Helm, der ihm wahrscheinlich gerade sein wertvolles Professorenleben  
gerettet hat.  
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Nächster Schritt? Laptop an. Laptop ließ ihn nicht in die Software.  
Meine Idee ist ja immer noch, dass er einfach sein Passwort verlegt  
hat, aber, naja, nein, das kann nicht sein. Also den Techniker geholt.  
Der Techniker hat den Prof eingeloggt, der Prof hat den  
Overheadprojektor gestartet, vor sich hingemurmelt und uns erzählt,  
dass er seine DVDs von der Steuer absetzt. Knapp eine halbe Stunde  
nach eigentlichem Unterrichtsbeginn war er also bereit für die Sitzung  
und ich war ja so, so stolz auf ihn. Das könnt ihr euch nicht vorstellen.  
Das könnt ihr euch nicht vorstellen!  
Dann nahm die Katastrophe ihren Lauf. Der Overheadprojektor stürzte  
ab. Nach exakt zwei Minuten. Jedes Mal aufs Neue.  
Man sollte meinen, dass man bei einer Sitzung zur Problemlösung die  
wichtigen Stichworte nun einfach an die Tafel schreibt (die groß und  
dick hinter dem Prof hing und auf die die Studis ihn fleißig hinwiesen),  
aber, nein. Nein! Das funktioniert so nicht. So funktioniert das nicht. Die  
Sitzung zur Problemlösung müssen wir dringend abhalten, indem wir  
das Problem nicht eliminieren, sondern treu beibehalten. Wichtig.  
Merken. Man versucht nicht, das Problem zu eliminieren. Man integriert  
es, bis es einem hoffentlich irgendwann in tausend Jahren in die  
Hände spielt.  
Ich muss gestehen, ich war selten so fasziniert wie von seiner  
Fähigkeit, aus einer Unannehmlichkeit ein ausgewachsenes,  
unüberwindbares Problem zu kreieren. Vor allem, in seiner  
Präsentation stand wortwörtlich nichts, was man nicht hätte  
übernehmen können. Wortwörtlich Nichts!  
Keine Videos, keine Audiodateien, keine Weblinks. Nur ein paar  
dämliche Stichpunkte, für die er auch einen Studi hätte anstellen  
können, falls er keine Lust haben sollte, sich selbst die Hände dreckig  
zu machen.  
Aus dieser Stunde hätte trotz des holprigen Anfangs etwas werden  
können.  
Der Prof entschied sich dagegen. Er schickt die anwesenden,  
vorlesungswütigen Studis, die das geschehen ungläubig beobachteten,  
in eine Gruppenarbeit. An sich eine gute Idee, die ich mir für meine  
Zukunft auf jeden Fall nah am Herzen halte. Ich würde das vorgehen  
des Profs allerdings minimal abändern. Anstatt die Schüler nur in  
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Gruppen zu stecken, würde ich es präferieren, ihnen auch Aufgaben zu  
geben. Damit sie beschäftigt sind und nicht nur dastehen und groß  
gucken.  
Dasitzen. Entschuldige bitte. Man sitzt im Unterricht, man steht nicht.  
Wir saßen also ohne Aufgabenstellung in Gruppen, während der Prof  
sich mit dem Overheadprojektor stritt und verlor. Einfach nur verlor.  
Und man hat es absehen können. Der Prof hatte einen schlechten Tag  
und konnte sich nicht einmal in den Laptop einloggen. Wie verdammt  
hätte er den Overheadprojektor dazu überreden sollen, nicht mehr zu  
überhitzen, sondern einfach die Stichpunkte an die Wand zu werfen?  
Mir wäre danach, die Situation noch ein wenig länger zu schildern,  
aber das würde vermutlich unnötig, sagen wir, unnötig gemein werden.  
Wir saßen halt in unseren Gruppen ohne Aufgabenstellung und  
tauschten uns über den zappelnden Prof vor uns aus, er diskutierte mit  
dem Overheadprojektor. Mehr lief da nicht. Am Ende des Tages sah  
der Prof sein Versagen ein und zog die Notbremse einer jeden  
Problemlösung: Das Thema ist nicht länger klausurrelevant.  
Wer auch immer von euch perfiden Strolchen den Overheadprojektor  
manipuliert hat, du bist mein Held! Zwanzig Folien weniger zu lernen.  
Ein Träumchen. Ein Träumchen.  
Leider gehen nicht alle Professorenunfälle so glimpflich aus. Aber,  
Schwamm Drüber! Was wäre das Studium schon, wenn jede Sitzung  
schiefgehen und jedes Thema gestrichen würde? Abgesehen natürlich  
von meinem Matheunterricht in der zehnten Klasse.  
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Didaktikgötter unter sich  
Didaktik. Das Herz einer jeden Lehrerausbildung. Sollte man meinen.  
Die Didaktiker schienen das Handwerk der Didaktik allerdings von allen  
mit Abstand am wenigsten verinnerlicht zu haben. Um einen kleinen  
Lacher hinterherzuschicken: Der Typ aus dem vorherigen Kapitel, der  
gehört auch zu den heiligen Didaktikern.  
Kein Wunder also, dass ich nach sieben Semestern Studium, zwei  
Schulpraktischen Übungen und zwei Praktika immer noch nicht das  
Gefühl habe, auch nur ansatzweise für den Lehrerberuf vorbereitet zu  
sein. Eher, naja, im Gegenteil. Weil mir meine gesunde, wunderbar  
warmherzige „Wie quäle ich das arme Kind vor mir am effektivsten“-  
Intuition ausgetrieben wurde.  
Die Didaktiker zeichnen sich vor allem durch Eines aus: Sie schreiben  
eine Klausur zu einer Vorlesung. Das mögt ihr nicht wissen, aber es  
gibt keinen größeren Idiotenmove an der Uni. Vorlesungen sind da, um  
belegt zu werden. Nicht, damit man sie besucht. Besuchte man die  
Vorlesungen allerdings nicht, durfte man zwar zur Klausur antreten,  
sollte man aber nicht.  
Weil die Didaktikgötter zwar nicht unterrichten können, dafür jedoch  
wissen, welche Gesichter sie noch nie zuvor gesehen haben und  
welche Gesichter es nicht verdient haben, gut aus der Nummer  
rauszukommen.  
Ich für meinen Teil hätte die Vorlesung mit glänzenden Augen besucht.  
Wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass auch nur ein Hühnerpups  
dabei rumgekommen wäre.  
Die bemerkenswerten Fähigkeiten eines jeden Didaktikers: Sie  
kommen einfach nicht zum Punkt. Gut möglich, dass ich einfach zu  
dämlich bin und mein Hirn auf der falschen Ebene funktioniert. Ich  
steige nicht dahinter, was sie von mir wollen. Ich sitze eine  
geschlagene Vorlesungsstunde da und lausche angestrengt und alles,  
was für mich bei der Sache rumkommt, ist: Schüler haben individuelle  
Bedürfnisse. Als Quintessenz jeder Sitzung. Jeder hat individuelle  
Bedürfnisse.  
Gratulation! Danke für diese Erleuchtung. Eine Klasse ist heterogen.  
Was? Neeeein. Sag bloß? Wie kommt ihr denn darauf. Zwanzig Kinder  
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haben nicht genau die gleichen Fähigkeiten? Hier muss es ja mit dem  
Teufel zugehen.  
Mehr kam für mich da nicht rum. Ich habe mir jede einzelne Sitzung  
dieser Vorlesungen reingezogen. Ich habe jedem einzelnen Wort  
gelauscht, jede Hausaufgabe gemacht, weil, räume ich ein, ist wichtig.  
Didaktik ist der Grundstein des Lehrertums.  
Aber sehe ich nicht ein. Nein! Es kann doch nicht sein, dass die  
Quintessenz der Stunde nicht ist, wie ich die Schüler individuell  
fördere, sondern nur, dass ich sie individuell fördere.  
Einige meiner Kommilitonen schienen deutlich zweckhafter gepolt zu  
sein als ich und nahmen interessante Fakten mit aus der Sitzung wie  
„Jungs bleiben meist für immer in ihrer Lesekrise stecken“. Bei mir  
klang das auch nur nach „heterogenes Klassenbild“. Heterogenität auf  
fünfzig Ebenen, dabei hat man nur zehn Schüler in der Klasse.  
Für jeden Schüler ein eigenes, auf seine Bedürfnisse zugeschnittenes  
Arbeitsblatt?  
Einem aus meiner alten Klasse hätte man direkt die Falzen für seinen  
Papierflieger angeben müssen, damit das Arbeitsblatt seine  
Bedürfnisse erfüllt.  
Was ist denn das? Utopie des Höchsten ohne Anleitung! Wir möchten  
gern eine perfekte Welt. Wie machen wir das?  
Geheim. Geheim! Nein, Scherz. Wir schlachten den goldenen Hasen,  
stehlen ihm sein Nasenöl, mengen das unter den Staub von schwarzen  
Diamanten, hauchen einige Sternentränen darauf und injizieren den  
Kindern das genau in die Augäpfel.  
Pisa. Pisa hat dies ergeben, Pisa hat das ergeben.  
Ohne irgendwen beleidigen zu wollen (jede Beleidigung fällt eh auf  
mich zurück, weil ich augenscheinlich in einer Basic-Veranstaltung  
saß, ohne sie zu kapieren, und auch bemerkenswert unmotiviert war,  
sie mir durch provokante Kommentare unterhaltsamer zu gestalten),  
ich bin aus diesen Sitzungen dümmer rausgegangen, als ich  
reingegangen bin.  
Vorher, vorher da schwirrten Behaviorismus und Soziopsychologie  
durch meinen Kopf. Danach? Für jeden das eigene Arbeitsblatt. Die  
Umsetzung bleibt euch selbst überlassen.  
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Vorher dachte ich an genetische Aspekte, an  
Neurotransmitterauslastungen und mögliche Verhaltensstörungen.  
Danach? Ja, einige Kinder sind schwierig. Mit denen lernt man auch  
umzugehen.  
Und wie?  
Erfahrung.  
Also lasse ich mich zehn Jahre fertig machen und kurz bevor ich aus  
dem Fenster springen will, dann, was? Kommt dann der goldene Hase  
vorbeigedackelt und schenkt mir sein kostbares Nasenöl? Was wollt ihr  
von mir?  
Das I-Tüpfelchen? Die Didaktiker verstanden es, auf einzigartige  
Weise sich zu wiederholen, langsam zu sprechen und Texte  
auszuwählen, die ich meinen Schülern nur dann geben würde, wenn  
ich will, dass sie mich von einer Planke auf den Schulhof stoßen. Ich  
werde doch nicht (nur) Lehrer, weil ich Kinder hasse! Dabei soll doch  
auch was bei rumkommen wie, keine Ahnung, absurde Dinge wie, was  
weiß ich, netten Unterricht nachdem die Schüler klüger sind als  
vorher? Nur eine Idee.  
Die Didaktikvorlesungen würde ich ganz einfach so bezeichnen: als  
enttäuschende Zeitverschwendung. Ich hatte so große Hoffnungen in  
sie! Ich dachte mir, boah, danach habe ich bestimmt ein paar Kniffe im  
Petto, wie ich mit den Kiddies umgehen sollte und muss mir nicht mehr  
paradigmenpsychologische Absurditäten aus der Nase ziehen.  
Die Realität? Jedes Kind ist einzigartig.  
Schwamm Drüber. Wer heutzutage Lehrer wird, der ist eh von allen  
guten Geistern verlassen. Ob ihm nun gesagt wird, wie man  
unterrichtet und die Kinder davon überzeugt, dass Grammatik wichtig  
ist, oder nicht.  
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Lernen für Dummies  
Wie bereits ausgeführt: Cel und lernen? Eher eine schwierige  
Beziehung. So wie zwischen Edward und Bella. Nur dass Bella stirbt  
und Edward sich im Mittagssonnenschein selbst entzündet.  
Da es allerdings empfohlen wird, den Stoff der Vorlesungssitzungen zu  
lernen, an denen man nicht teilgenommen hat, über die allerdings eine  
Klausur geschrieben wird, beschloss ich, dass es Zeit wird für zwei  
neue Freunde: Coco und Nina. Zwei nette Mädels, die das Lernen mit  
der Muttermilch in sich aufgesogen haben, und als ich vorschlug, dass  
man sich ja mal in der Bibliothek zum Lernen treffen könnte, war die  
Sache geritzt, bevor ich aussprechen konnte.  
Ich hatte mir nämlich einen winzigen Reim auf mein Lernverhalten  
gemacht. Wenn man mir was erzählt, dann merke ich mir erstaunlich  
viel. Wenn ich nebenbei kommentiere, was ich tue, sitzen die Muster  
danach bombenfest. Starre ich auf Buchstaben? Freue ich mich halt,  
dass sie existieren und Worte bilden und aus diesen Worten Sätze  
erwachsen, die in besonderen Fällen sogar sinnhaft sind.  
Also suchte ich mir Menschen, die gern lernen, den Inhalt draufhaben  
und an die ich mich lieb lächelnd ranhängen kann. Und die sich  
darüber auch noch freuen, weil: endlich jemand mehr im Lerntrio.  
Beinahe hätte ich Strebertrio geschrieben. Dann ist mir aufgefallen,  
dass Studenten Studenten sind um zu studieren. Was wir also in der  
Uni taten, das war ganz normales studentisches Verhalten in dem  
natürlichen Habitat des Studenten.  
Nein, nicht im Club! In der Bibliothek. In der Bibliothek. Die Bibliothek  
ist das natürliche studentische Habitat. Fragt die Medis! Die  
unterschreiben euch das mit strahlenden Augen. Mit tränenden Augen.  
Verzweifelt jammernd.  
Wie ein Medi das halt tut.  
Wir saßen also an diesem Tisch, die beiden haben ihre Lernunterlagen  
ausgebreitet und sahen mich erwartungsvoll an. Zugegeben, die ersten  
Minuten hatte ich ernsthaft keinen blassen Schimmer, was die von mir  
wollten. Ich bin da? Ich lächle lieb? Ich habe keine Mütze auf? Die  
Jacke wurde ausgezogen? Was wollt ihr von mir? Hallo?  
„Wo sind deine Lernsachen.“ Dieser sinngemäß wiedergegebene Satz  
stürzte mich zugegeben in ein recht unangenehmes Dilemma. Ich  
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konnte ja schlecht den beiden sagen: „Ihr seid meine Lernsachen und  
jetzt legt los.“ Ich wählte also die Studentenausrede: Noch bin ich nicht  
dazu gekommen.  
Verständnisvolles Nicken. Wenn wir Geisteswissenschaftler mehr als  
zwei Klausuren haben, dann ist das ein kaum überwindbarer Aufwand  
und natürlich versteht man da, dass ich meine Lernsession mit diesem  
Austausch eröffnen möchte. Das ist völlig legitim. Niemand muss  
wissen, dass diese Lernsession meine einzige bleiben sollte, weil sie,  
naja, mir mehr gab als alle Karteikarten zusammen.  
Wir stürzten uns also in Cocos und Ninas Unterlagen. Fand ich toll. Die  
beiden sind wundervoll strukturiert, arbeiten mit Farben und legen sich  
die Vorlesungsfolien ergänzend direkt daneben. Das klingt für mich  
recht sinnvoll. Darauf, ergänzend das Vorlesungszeug neben meine  
Karteikarten zu legen, wäre ich trotzdem nicht in hundert Jahren  
gekommen. Wir denken mal lieber nicht darüber nach, was das über  
mich aussagt.  
Das faszinierende an dieser Klausur war: Wir mussten eigentlich nur  
mit Diagrammen rumfuhrwerken und Schnittmengen und so Zeugs.  
Klingt im ersten Moment nach Mathe. Im zweiten Moment hat der  
Professor sich die Mühe gemacht, seine Thesen farblich, in Formen  
und in Zahlen darzustellen. Sehr lieb von ihm. Wirklich. Nur halt auch  
sehr unnett, wenn man sich Karteikarten erstellen will und dann nichts  
mehr in dem Schaubild erkennen kann, weil es definitiv zu groß für  
eine niedliche, kleine Karteikarte ist.  
Zumindest wenn ich sie anfertige.  
Coco, Nina und ich saßen nun also um diesen Tisch herum und ich  
lauschte andächtig, warf hin und wieder ein paar Thesen ein, starrte an  
die Decke, lauschte andächtig und lauscht andächtig.  
Wenn mir irgendwas nicht ganz schlüssig war oder wichtig vorkam,  
brabbelte ich das nach wie ein Kleinkind.  
Dieses Brabbeln, das scheint Menschen generell zu amüsieren.  
Gestern wurde ich bei der Arbeit in die Stellenbörse eingearbeitet und  
um diese ganzen Stellen einzupflegen, muss man halt mit ein paar  
Programmen arbeiten, die ich schon aus Prinzip bis ans Ende meiner  
Tage ignoriert hätte. Ich meine, wer macht ein weiß-schwarz-  
knalloranges Layout? Wie sehr muss derjenige seine Nutzer hassen?  
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Zumindest saß ich auch da wieder auf meinem Stühlchen und  
kommentierte konzentriert alles, was ich tat. Bis man mich darauf  
hinwies und ich am liebsten mit hochrotem Kopf im Erdboden  
versunken wäre.  
Weil … weil … weil ich will nicht niedlich wirken. Sondern total  
kompetent und intelligent und fleißig. Nicht niedlich!  
Nur weil ich ein verdammter auditiver Lerner bin, der nur schlecht  
lernen kann, weil es ihm zu blöd ist, der Wand zu erklären, was auf den  
Karteikarten steht und warum man dem kaum, gar nicht oder nicht in  
tausend Jahren zustimmt. Die Wand wird nicht verständnisvoll nicken.  
Die Wand wird nicht einmal die Augen rollen.  
Sie ist einfach da und hört zu und ist langweilig wie sau. Ich weiß  
schon, warum auf fast jedem Zentimeter meiner Wand Ausschnitte aus  
meinen Büchern stehen. Ich weiß schon, was ich da gemacht habe.  
Dann fühlt man sich nicht mehr so, so still verurteilt, wenn man keine  
Coco und keine Nina und keine Vivi in seinem Kurs hat und einsam  
und allein auditiv vor sich hinlernen muss.  
Aber, Schwamm Drüber!  
Immerhin ist die Wand da und hört mir zu, selbst wenn wir es beide  
nicht wollen. Das, Leute, das nenne ich Parasitismus auf einer ganz  
neuen Ebene.  
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Praktika sind für Schüler da  
In seinem Lehramtsstudium darf man drei wundervolle Praktika  
absolvieren, ehe man in das Überpraktikum namens „Referendariat“  
geschmissen wird. Während mich die Praktika schon aus Prinzip  
anödeten, entpuppte sich das Sozialpraktikum als recht amüsant. Man  
sollte da halt irgendwas Soziales mit Menschen machen und eine, die  
ich durch das Schrieben kenne, Josie, die fragte so: „Sag mal, musst  
du jetzt nicht bald dein Praktikum machen?“  
Respekt erstmals, dass sie meine To-Do-Liste besser im Kopf hat als  
ich. Ich blätterte also einmal nach und stellte mit Schrecken fest: Josie  
hat Recht! Und wie ich mein Praktikum Nummer eins werde antreten  
müssen.  
Ich antwortete also mit einem gedehnten, vorsichtigen „Ja“ und dann,  
dann legte Josie los.  
Sie befände sich in einem Projekt ihrer Schule. Herausforderung  
gesucht. Josie und ihre Freundin wollen Pilgern gehen, brauchen dafür  
aber jemanden, der auf sie aufpasst. Ich mit meinen zarten achtzehn  
Jährchen versuchte krampfhaft herauszubekommen, ob das ein Witz  
sein soll oder ob Josie das wirklich ernst meint. Pilgern? Drei Wochen  
lang? Durch die Welt? Mit meinen eigenen Füßen und mit einem  
Rucksack auf dem Rücken?  
Wo soll ich bitte schlafen? Auf dem Boden?  
Sagen wir so: Ich hatte erstaunlich wenig Lust, mir von der Uni ein  
Sozialpraktikum organisieren zu lassen, also setzte ich einiges daran,  
Josies nette Betreuerin von nebenan zu werden.  
Also latschte ich zu dem Elternabend zu dem Schulprojekt  
„Herausforderung gesucht“. Stellte mich ihrer Löwenmama. Sprach mit  
dem leicht, nur leicht desorientierten Herrn Dr., der dieses Projekt  
leitet. Machte die Nummer im Praktikumsbüro klar, packte meine  
Sachen und machte mich mit den Mädels auf den Weg.  
Ab nach Polen!  
Und, verdammt, Polen ist ein nettes Land. Viele günstige Süßigkeiten!  
Die Polen können von mir aus anstellen, was sie wollen, solange die  
süße Kondensmilch in der Tube mir erhalten bleibt, bin ich glücklich  
und zufrieden und komme auch als Frau jederzeit wieder gern nach  
Polen. Und wenn die Polen irgendwann keine Frauen mehr nach Polen  
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lassen, dann beknie ich meinen Opa, dass er von seinem Tankausflug  
ein paar Tuben Milch mitbringt. In allen möglichen  
Geschmacksrichtungen. Weil die toll sind!  
Okay, wir machten leider keinen Zwischenstopp, um Kondensmilch zu  
kaufen. Wir mussten laufen und natürlich bin ich pflichtbewusst immer  
vorne weg gelaufen.  
Was nicht daran liegt, dass ich wusste, wohin es geht. Ich bin einfach  
eines dieser Kinder, das mit einem zügig laufenden Vater  
aufgewachsen ist und verzweifelt versucht hat, Schritt zu halten,  
während man zur nächsten Bushaltestelle hastete. Die  
Geschwindigkeit der Bewegungen habe ich beibehalten, meine  
Beinchen sind gewachsen und schon bin ich der am schnellsten  
flitzende Rucksackträger, den die Pilgerbewegung je gesehen hat.  
Ich schätze, hätte irgendwer überprüft, wie ich auf Josie und ihre  
Kumpeline aufpasse, man hätte mir die Ohren langgezogen.  
Wahrscheinlich sogar mit Recht. Aber Josie war alt genug, um diese  
gesamte Nummer zu organisieren und Josie war alt genug, um mich zu  
fragen, ob ich sie begleiten, und Josie war generell alt genug, um ihr  
gesamtes Leben durchzuplanen. Sie sollte es schaffen, einfach gerade  
aus zu gehen.  
Was Josie gelang. Einwandfrei sogar. Die beiden brauchten deutlich  
mehr Pausen, als mir lieb war, aber sonst, tolle Sache. Man läuft bis es  
nicht mehr geht und läuft weiter. Es fängt an zu schütten, als hätte der  
Himmel darauf gewartet, dass wir einen Fuß vor die Tür setzen, wir  
laufen weiter. Völlig durchnässt. Klitschnass. Bis auf die Haut nass.  
Irgendwo, wo wir keinen Zwischenstopp machen wollten.  
Hach, das Pilgern war schon ein Abenteuer. Da die Sache Josies und  
Josies Freundins Herausforderung war, musste ich nicht einmal die  
unangenehmen Telefonate tätigen (He, könnten wir heute Nacht bei  
Ihnen schlafen? Wir pilgern.), sondern konnte nachdenklich nickend  
danebenstehen und mich freuen, dass meine Schule nie eine so  
dermaßen bescheuerte Idee hatte.  
Ursprünglich wollten wir den Jakobsweg pilgern. Leider war der  
Wegführer zu sehr auf vergängliche Details konzentriert. Wie ein  
gelbes Haus, das einfach nicht mehr existierte. Oder ein krummer  
Baum inmitten von vielen krummen Bäumen.  
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Teilweise hatte ich das Gefühl, dass man uns einfach nur auf den Arm  
nehmen will. Wie verwirre ich arme Pilger mit fünf Worten oder  
weniger? „Geh am gelben Haus vorbei.“  
Welches gelbe Haus verdammt?  
Aber wir sind ja nicht dumm und haben uns dazu entschieden, einfach  
die zahlreichen Fahrradwanderwege entlangzudackeln. Deutlich  
erkennbar. Schöne Umgebung. Führen definitiv irgendwohin. Lassen  
uns nicht im Regen stehen.  
Uns wir müssen uns nicht an Pfeilern orientieren, die bereits vor fünf  
Stürmen zerlegt wurden.  
Leuts, ich liebe das Abenteuer. Wirklich! Aber ich bin ein echtes  
Stadtkind, also liebe ich Stadtkindabenteuer wie, keine Ahnung, wir  
haben uns im Wald verirrt, aber das packen wir schon. Ich bin am  
Anfang der Wanderung in einer Pfütze gefallen, durfte mich danach  
trotz Navi im Wald verwirren, meiner desorientierten Familie ins  
Gesicht sehen und Barfuß über Stock und Stein wandern. Abenteuer  
wie in fremde Gewässer steigen und nur Dank meiner guten Reflexe  
nicht im Schlamm zu versinken, die nehme ich auch hin.  
Aber doch bitte keine, bei denen ich in einem polnischen Wald stehe,  
alle Wegweiser einfach weg sind, es schüttet wie aus Kübeln, wir auf  
die sich wellenden Seiten des Pilgerführers starren, verzweifelt nach  
dieser dämlichen Jakobsmuschel suchen, nicht wissen, wo wir  
schlafen sollen und den Schlafsack außerhalb des Rucksacks hängen  
habend. Das sind Dorfkindabenteuer. Stadtkindabenteuer enden am  
Abend immer im eigenen Bett.  
Aber wir Studis, wir machen diese Sozialpraktika ja, um zu schauen,  
ob wir Menschen mögen. Mein Fazit nach der Pilgerreise? Menschen  
sind okay. Ich habe eh nicht viel mit ihnen zu tun. Ich bin die, die  
vorläuft.  
Natur ist doof. Sehr, sehr doof. Zum Kotzen doof.  
Man mache sie nieder und lege eine fette Asphaltschicht darüber!  
Schwamm drüber. Wir haben diesen Abend überlebt und viele weitere  
Abende auch und in dem Pfarrhaus eines bekannten Pfarrers haben  
wir uns dermaßen mit Süßigkeiten eingedeckt, dass wir nur knapp  
nicht an einem Zuckerschock zu Grunde gegangen sind.  
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Hach. Süßigkeiten. Wie schnell sie die Welt doch besser machen  
können.  
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Flugtechnik für Anfänger  
Ich studiere in einer Stadt, die kennt theoretisch aus Prinzip keinen  
Schnee. Das letzte Mal hat es 2017 geschneit. Jetzt dieses Jahr  
wieder, aber dieses Jahr versucht scheinbar einfach krampfhaft, den  
jämmerlichen Katastrophenwinter 2020 wieder wettzumachen.  
2017 ist mir allerdings nicht nur gut in Erinnerung geblieben, weil ich da  
mein Studium begonnen habe, sondern auch, weil es schneite. Dieser  
Schnee tagsüber taute. Es zu nieseln begann. In der Nacht  
Minusgrade vorherrschten. Ich das alles nicht mitbekommen habe.  
Und mich am nächsten Morgen erstmals schwungvoll auf die Nase  
gelegt habe. Heiliges Kakomonster!  
Da wachst du auf wie ein normaler Mensch, glücklich und zufrieden,  
agil um fünf Uhr morgens, bereit sich ein wenig in das nächste Buch zu  
stürzen. Weil es Winter war, habe ich mich gegen die Heizung und für  
eine Kuschelwuscheldecke und eine heiße Schokolade entschieden  
(nennt mich verrückt, aber ich liebe die Kälte, ich liebe, liebe, liebe sie)  
und zufrieden lächelnd vor mich hingestarrt. Der perfekte Morgen. Ich  
weiß das noch genau. Es war einfach der perfekte Morgen. Letzte  
Schneereste klebten noch auf dem Rasen, während sich der Winter  
offensichtlich schon wieder verabschiedete. Ich entspannte mich also,  
tippelte irgendwas in irgendeinem Buch, atmete tief den Duft des  
Kakaos ein und machte mich dann bereit für einen wundervollen  
harmonischen Studientag.  
Damals fuhr ich noch mit dem Rad. Ich nahm also Platz auf dem  
schönen Sattel, hatte den Helm pflichtbewusst im Schrank gelassen  
und radelte los.  
Ich habe euch ja schon irgendwie verraten, dass ich mich volle Kanne  
auf die Nase gepackt habe. Aber wie sehr? Naja. Genug, damit der  
Lenker meines Fahrrades sich verbog wie zuletzt im Herbst  
(rutschiges, nasses Laub ist böse) und ich kopfschüttelnd neben  
meinem ächzenden und leidenden Rad stand, das sich vermutlich  
erneut fragte, warum es ausgerechnet in meinen Besitz hatte  
übergehen müssen. Warum konnte es nicht jemandem gehören, der  
aufpasste und es pflegte und ihm einmal täglich ein Küsschen auf den  
Lenker hauchte. Ich zog es eher vor, das arme Rad bei Glatteis auf die  
Seite zu hauen, ihm den Lenker auszurenken, den Lenker unsanft  
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zurückzurenken, das Rad anzusehen, als wäre alles, was  
hiergeschieht, ganz allein die Schuld meines inkompetenten  
Fahrrades, und demonstrativ und schwer zu seufzen. Immer enttäuscht  
den Kopf schüttelnd. Demonstrativ enttäuscht den Kopf schüttelnd.  
Weil das Fahrrad nicht in der Lage dazu war, über die Gefahrenzone  
einfach hinwegzufliegen.  
Ein echtes Dilemma.  
Während meiner Studienzeit habe ich mich zahlreich darin geübt,  
möglichst gekonnt auf die Nase zu fliegen. Angefangen im Herbst, als  
das klitschnasse Laub auf den aus Prinzip ungeräumten Wegen liegen  
blieb. Man kann dabei einen kleinen Salto nach vorn machen, panisch  
schreiend die Arme ausbreiten, perplex auf eine Seite der Wahl des  
Fahrrads springen, jammernd die Augen schließen oder, meine  
Lieblingstechnik, mit dem Hinterrad driften, weil irgendein Deppenstudi  
das Licht nicht gesehen hat und mir voll in den Weg latscht. Hallo, ich  
bin wichtig. Du darfst mich nicht umfahren! Bestimmt waren das  
irgendwelche verirrten Musikstudenten.  
Aber man kann sich nicht nur mit dem Fahrrad konsequent und geübt  
auf die Schnauze legen. Gern ist diese Kunst auch bei Fußgängern zu  
beobachten. Fußgänger, die im Schlamm ausrutschen, die auf dem  
Glatteis ausrutschen, die sich einmal quer auf die Bahnschienen legen.  
Oder, mein absoluter Favorit, das Stolpern auf nassen Treppen.  
Da waren Lisbeth und ich gerade auf dem Weg, uns ein Eis zu  
ergaunern, die Treppe mit diesem hässlichen Krankenhauslinoleum  
überzogen und unsere Sohlen nass von draußen.  
Meine Schuhgröße 44/45 hat mich zu Turnschuhen verdonnert und,  
einige wissen es vielleicht, Turnschuhe sind nicht für ihr  
überzeugendes Profil bekannt.  
Meine erste Amtshandlung auf dieser Treppe also? Mich der Länge  
nach hinschmeißen und nach unten rutschen. Auf meinem Popöchen,  
das zum Glück mit mehr Speck versorgt ist, als es ihm guttut. Lisbeth  
schrie entsetzt auf und versuchte, mich mit ihrer freien Hand zu halten,  
entschied sich allerdings in letzter Sekunde dagegen.  
Gut so. In der anderen Hand hielt sie nämlich einen kochend heißen  
Kaffee und ich habe lieber einen schmerzenden Arsch, als ein  
verbranntes Gesicht.  
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Das Gute an meiner Flugtechnik? Ich war lange vor Lisbeth unten und  
hatte sogar Zeit, mich demonstrativ jammernd aufzusetzen, vorsichtig  
die Standhaftigkeit meiner Beinchen auszutesten und mich tief  
einatmend dem Abenteuer „Einkaufscenter“ zu stellen.  
Wenn ich eines während meines Studiums gelernt habe, dann auf die  
verschiedensten Weisen auf die Schnauze zu fallen. Inzwischen laufe  
ich schon mit ausgebreiteten Armen wie ein Pinguinküken und die  
meisten Menschen haben auch ein wachsames Auge auf mich und  
meine profillosen Turnschuhe bei extremen Wetterlagen.  
Alle außer Moritz. Dem sage ich „Wenn ich falle, dann fängst du mich.“  
Und er sagt. „Sicher nicht.“  
Ich frage entsetzt: „Was soll das?“  
Er sagt: „Bringt ja nichts, wenn wir uns beide hinpacken. Irgendwer  
muss ja lachen.“ Sinngemäß irgendwie so. Wir haben abgemacht, dass  
er mich aufliest, wenn ich mir was brechen sollte, und dass er mich  
nicht erschießt, nur weil mein Rückgrat etwas geeist wurde.  
Was mir in der Flugstunde direkt eher weniger bringt.  
Schwamm Drüber.  
Es kann einem ja nicht jeder treu zur Seite stehen. Einige existieren  
halt, um zu lachen und die besten Fotos zu schießen. Während der  
andere mit gebrochenem Genick auf dem Fußweg liegt.  
So wie Moritz.  
Oder, ganz eventuell vielleicht nur in den seltensten Momenten und  
besonderen Menschen gegenüber auch ich.  
Ach, quatscht, lasst euch nicht verarschen. Ich würde auch erstmal  
anfangen zu kichern wie eine Geisteskranke, wenn du dich neben mir  
hinpackst. Weil es verdammt noch einmal lustig ist!  
Zumindest, naja, bis irgendwas passiert.  
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Die gefürchtete Erfindung namens „Schulpraktische Übung“  
Wer Lehrer werden will, verbringt nicht die gesamte Zeit damit, die  
Profs von hinten aus dem Vorlesungssaal auszulachen. In  
unangenehmen Momenten werden die Lehramtsstudis daran erinnert,  
dass sie sich irgendwann in die schlechter bezahlte Position des Profs  
begeben werden, um sich von blöden Schülern, die von Nichts und  
Niemandem eine Ahnung haben, auslachen und veräppeln zu lassen.  
Die schulpraktischen Übungen zeigen uns, wo eigentlich unser Platz  
ist. Sein wird. Wenn wir die Uni erfolgreich überstanden und uns zu  
echten, würdigen Lehrern gemausert haben.  
Es geht also daran, eine echte Unterrichtsstunde vorzubereiten, um  
echte Schüler zu begeistern. Nicht nur die hypothetischen Persönchen  
im Didaktikunterricht, sondern die echten lebenden, fühlenden,  
lernenden, uns liebenden Menschen. Wir alle wissen: Schüler  
vergöttern nichts mehr als ihren Lehrer.  
Wir konnten es also nicht erwarten, uns ihnen zu Füßen zu werfen und  
den Schülerlein zu erklären, wie toll sie sind und wie lieb sie sind und  
wie dankbar wir dafür sind, sie quälen zu dürfen.  
Bevor es aber dorthin geht in diesen Klassenraum mit der heiligen  
Kreidetafel und dem heiligen Kreidestück muss man sich irgendwie  
eine Unterrichtsstunde einfallen lassen. Und, Holy Guacamoly Leute!  
Das ist deutlich aufregender, als es sich anhört. Weil, man soll die  
Kiddies ja begeistern und man will ja nicht schon nach der ersten  
Unterrichtsstunde von allen gehasst werden.  
Zumindest möchte ich das nicht. Wie es bei meinen Kommilitonen mit  
ihren drölfzig Arbeitsblättern steht, das ist mir noch immer nicht ganz  
klar, aber mein Traum ist es, dass die Schüler aus dieser Stunde  
rausgehen, mich lieben, mich nie verklagen, meine Noten akzeptieren  
und mir nicht ihre tollwütigen Eltern auf den Hals hetzen, weil ich meine  
Braue zur falschen Zeit gehoben habe.  
Ich will Schülerliebling sein, also denke ich mir hammermäßig coole  
Sachen aus. Wie … wie … wie … ach, lasst uns einfach ein  
Arbeitsblatt erstellen und den Schülern sonst ein bisschen was  
erzählen. Quatschen, man mag es nicht glauben, aber das kann ich  
recht gut. Reden, seit Sekunde eins. Ich war so um die zwei Jahre alt,  
als ich beschlossen habe, dass nun der beste Zeitpunkt gekommen  
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sei, jeder bemitleidenswerten Person in meinem Umfeld ohne Punkt  
und Komma die Ohren abzukauen. Schüler sind dazu gezwungen mir  
zuzuhören und so zu tun, als würde es sie jucken, was ich sage. Weil  
ich einen Test darüber schreiben lasse. Und ich ihn bewerte.  
Also findet gefälligst toll, was ich zu erzählen habe!  
Ich marschiere also in diesen Klassenraum. Wir leiten die Sache mit  
einem kleinen Spiel ein, weil sie sollen mich lieben. Sie sollen mich  
mehr lieben als ihre Handys und ihre fancy Klamotten.  
Spiel kam gut an. Klingt nach einer witzigen Sache. Nach einer  
wundervollen Unterrichtsstunde.  
Nun das Arbeitsblatt. Ja, die Laune wurde etwas gedrückt, aber sie  
haben mich nicht gehasst. Wirklich nicht. Eine riesige  
Schülerbeteiligung, gigantisches Interesse am Thema. Schöne  
Diskussionen.  
Ich war irgendwo auf Wolke zehn mit dem Wissen: diese Kinder, die  
lieben mich mehr als alles andere auf der Welt.  
Wisst ihr, das Ding ist ja, dass nicht unbedingt die Schüler die Stunden  
bewerten und dass diese schulpraktischen Übungen dem dienen,  
einen zuvor festgelegten Zeitplan einzuhalten und, naja, man mag es  
sich nicht vorstellen wollen, aber, nun ja, irgendwie hat es mir mehr  
Freude gemacht, mit den Schülern zu diskutieren und dabei  
zuzuhören, wie sie sich langsam ihre Meinung bilden, als ihnen zehn  
Minuten lang unschuldig lächelnd vorzutragen, was sie am Ende des  
Tages wortwörtlich so wissen sollten.  
Die für mich coolsten Lehrer waren die, die den Stoff vermittelt haben,  
indem sie plötzlich auf dem Tisch standen oder angefangen haben, ihr  
Gequatsche mit zarten Keyboardklängen zu unterlegen, während sie  
Mozart in die Epoche des Barocks verfrachteten. Oder die einfach nur  
erzählt haben wie die Götter und mir Allgemeinwissen in mein Hirn  
geschaufelt haben, das ich feinsäuberlich mit Spitzenserviette und  
Blümchen in mein mentales Regal einsortiert habe.  
Aber das sind halt die Lehrer, die ähnlich inkompetent in ihrem Fach  
sind wie ich gedenke, in meinem Fach zu sein.  
Während ich also die Zuckerwatte meiner Wolke zehn schnurpelte,  
tobte irgendwo zwanzig Kilometer tiefer ein Dozent und fragte mich,  
was ich mir dabei denn gedacht hätte.  
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Das Schöne ist, vielleicht kennt ihr das, wenn ein Erwachsener  
wirklich, wirklich wütend auf euch ist, dann will der gar keine Antwort  
haben. Darauf habe ich mich unschuldig verlassen, während ich aus  
dem Fenster sah, mich freute, dass die Kinder sich gefreut haben,  
meine Karriere als Lehrerin vorplante und die Stunde noch einem vor  
meinem inneren Auge vorbeiziehen ließ.  
Natürlich haben die Störgeräusche am Rande die Sache nicht  
unbedingt netter gemacht, aber ich habe mir geschworen: Wenn ich  
irgendwann so einen ekelhaften Schüler in meinem Unterricht habe,  
wie ich eine ekelhafte Studentin bin, dann werden wir beste Freunde.  
Wir backen zusammen Kuchen. Wir werfen die anderen Schüler mit  
Schneebällen im Winter ab. Wir tanzen Woogie, Woogie auf dem  
Schreibtisch.  
Ja, klar, irgendwann kam die unvermeidbare Frage: „Haben Sie das  
verstanden?“ und ich nicke reumütig.  
Natürlich. Natürlich habe ich das verstanden! Während ich eigentlich  
auf meinem Zuckerwattepony davonritt, um meine kommenden  
Drölftausend Unterrichtsstunden zu planen.  
Das Schönste an der Uni ist: Alles sind Meinungen. Der Dozent hatte  
die Meinung, ich hatte eine andere Meinung, um zu bestehen war ich  
natürlich seiner Meinung. Schlussendlich bereitet sie einen perfekt  
darauf vor, die Queen von England zu werden: Einfach nicken und  
lächeln. Einfach nicken und lächeln.  
Schwamm Drüber!  
Wenn alles direkt glatt laufen würde, dann wäre die Uni ja fast schon  
langweilig. Und überhaupt keinen Lacher mehr wert.  
Während der Prof vorn steht und mit dem Computer diskutiert, ob er  
denn bereit wäre, das Programm zu öffnen, oder ob der PC es doch  
bevorzugen würde, die nächsten zwanzig Minuten noch im Dauerschlaf  
zu verbringen.  
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Das ist jetzt ja doof  
Einigen mag es entgangen sein, aber im Jahr 2020 kam so ein Virus  
um die Ecke. Wir nennen es wortgewandt „Corona“ und es hat an sich  
auch keinen großen Einfluss auf mein Leben gehabt. Ich meine, ich  
gehe eh nie vor die Tür. Einmal im Monat treffe ich mich freiwillig mit  
echten, lebendigen Menschen. Nein, Corona hat mich freigemacht von  
meiner Verpflichtung, teuer feiern zu gehen. Von nun an konnte ich  
ohne Schuldgefühle auf dem Sofa hocken bleiben und seltsame  
Bücher schreiben.  
Die Uni nahm die Sache nicht ganz so locker wie ich. Die Uni, die Uni,  
die, die bekam einen Anfall. Einen echten Herzinfarkt. Ein: Was, wenn  
wir jetzt zumachen müssen? Was, wenn wir alles online abhalten  
müssen? Was dann? Das Internet ist für uns alle Neuland. Wir wissen  
noch einmal was ein Computer ist, wenn man ihn uns ins Gesicht  
schleudert!  
Man kann sich nicht ausdenken, wie holterdipolter das alles gehen  
musste. Erstmal verlängern wir die vorlesungsfreie Zeit. Fand ich toll.  
Echt gut. Also, unironisch gut. Nicht nur, weil ich ein guter Student bin,  
sondern auch weil ich die Hälfte der vorlesungsfreien Zeit flach lag und  
von meiner Ärztin den wertvollen Hinweis bekommen habe: „Gehen  
Sie einfach mehr spazieren.“ Sagt sie zu der Person, die pro Tag  
mindestens zwei Stunden, eigentlich vier Stunden spazieren gehen  
muss, um das Gefühl zu haben, erfüllt und glücklich zu sein.  
Nein, nein, mir wurden meine zwei Wochen Ferien geschenkt und der  
Uni zwei Wochen, um so zu tun, als besäße sie Server. Alle Rädchen,  
die so eine Uni besitzt, drehten sich also, und wer nicht weiß, wie viele  
Rädchen das sind: Ungefähr doppelt so viele wie Studenten die Uni  
besuchen.  
Eigentlich bin ich ein echt flexibler Mensch. Solange man nichts von  
mir erwartet, bin ich toll und locker und mache alles mit. So auch den  
beginnenden Onlineunterricht.  
Wir bekamen einen Link und wir alle ahnten, das wir das  
katastrophalste Semester aller Zeiten.  
Weil nicht alle Dozenten dahinter stiegen, was ein Link ist und zu  
welchem Zweck man sie verschickt. Die Hälfte meiner Veranstaltungen  
lief also auf der Basis: Lies mein Buch und schreib, was ich toll  
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gemacht hab und wozu du dir mehr gewünscht hättest. Oder: Hier,  
dein Hausarbeitsthema. Erarbeite dir das mal. Hast sechs Wochen  
Zeit.  
Die tapferen Didaktiker wagten sich allerdings in die Onlinegefilde und  
schenkten uns mit Kusshand einen Link.  
Damit erstmal alle Veranstaltungen abstürzten. Ich bedauerte zu dieser  
Zeit zutiefst, dass ich niemanden bei mir hatte, mit dem ich wetten  
konnte, wie lange die Verbindung hält, bevor der Prof rausfliegt und  
uns tratschend in diesem Onlineraum zurücklässt.  
Wenn jeder das gleiche Programm über die staubigen DDR-würdigen  
Server nutzt, dann ist das halt schon doof. Dann funktioniert eher  
weniger. Eigentlich gar nichts.  
Viele Studis sind ausgestiegen und haben sich den Technikjammer  
nicht zugemutet. So nicht ich! Ich saß tapfer daneben, weil ich die  
Veranstaltungen liebte und ja keine Sekunde verpassen wollte.  
Ach, wem mache ich hier was vor? Ich habe mich einfach nur  
stundenlang darüber lustig gemacht, wie die Profs sich anstellen. Die  
gleichen Profs, die nicht einmal den Lautsprecher anklicken können,  
damit ein Ton kommt. Diese Profs wurden vor quietschende Server  
und eine instabile Website gestellt, die sie nie zuvor genutzt haben.  
Diese Prof schienen oft genug den Tränen nah und der ein oder  
andere verpasste es, seine Kamera so zu positionieren, dass man ihn  
sah und nicht sein Wohnzimmer. Oder Arbeitszimmer. Oder das Regal  
in seinem Büro, obwohl das recht schnell verschwand. Grund dafür?  
Sogar auf dem Dorf hat man eine bessere Verbindung als in einem  
Unigebäude.  
Man spürte den Schock bis ins Mark. Da wagt es ein Virus nach  
Deutschland zu kommen und wir müssen die Leute an den Computer  
setzen? Wir wissen doch nicht einmal, wie der „Computer“ geschrieben  
wird. Wir wissen nicht einmal, wo der angeht. Was soll denn der  
Unsinn?  
Dann saß ich also da. Die ersten Wochen kichernd, die übrigen  
Wochen leidend.  
Den meisten Professoren schien ihr Professorentitel  
bedauerlicherweise doch nicht hinterhergeworfen worden zu sein. Sie  
fuchsten sich in das System rein und wagten es, mit uns Unterricht zu  
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machen. Unterricht! In einer Krisensituation. Es gibt doch aktuell  
wirklich Wichtigeres als Unterricht!  
Da waren ausnahmsweise alle Fachschaften mal einer Meinung und  
machten sich dafür stark, dass niemand eine Prüfung ablegen muss.  
Fand ich schon irgendwie witzig. Vor allem, als sie Erfolg hatten.  
Für mich lässt sich dieses erste Onlinesemester schlicht und ergreifend  
mit einem Satz zusammenfassen: „Das ist jetzt ja doof.“  
Genau so sahen die Professoren aus, die uns nicht ganz viel Zeug fürs  
Selbststudium auf den Tisch geknallt haben. So, als würden sie am  
liebsten Kündigen und auf die Bahamas fliegen.  
Wie der Geschichtslehrer meiner kleinen Schwester.  
Was irgendwie witzig ist.  
Egal.  
Schwamm Drüber!  
Jetzt läuft alles und ich lerne endlich wieder neue Sachen. Von  
faszinierenden Persönlichkeiten vermittelt. Juchhu!  
Was für ein Scheiß.  
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Sag mal  
Lisbeth, der überfliegende Medistreber, hat beschlossen, sich während  
der Krise pilzbefallene Zellen an den Hals zu holen. Oder, wie  
unwissende Außenstehende es wohl nennen würden: eine  
Doktorarbeit über die Auswirkungen von Cannabinoiden auf Zellen, die  
ungünstiger Weise Pilz bekommen haben. Nachdem Lisbeth sie  
mühsam und liebevoll aufgepäppelt hat! Für ihre Doktorarbeit ist ein  
Pilz also ähnlich wie für einen Fuß eher suboptimal.  
Ihr Pilzdilemma hat absolut nichts mit meinem Studium zu tun. Ich  
habe nur das tiefe Bedürfnis verspürt, diese Information mit euch zu  
teilen. Lisbeths Zellen haben Pilz und sie ist für Lisbeth-Verhältnisse so  
gar nicht verzückt von der Sache.  
Dafür muss man wissen: Lisbeth wirkt häufig so, als könnte ihr eine  
Möwe auf den Kopf kacken und sie würde die Sache sarkastisch  
gegen die Wand grinsen.  
Lisbeth wirkte so, wie ich mich in meinem Studium manchmal fühlte.  
So als hätte mein Studium Pilz. Und keinen guten Pilz, sondern diesen  
gemeinen Pilz, den man mit fünf Schichten Nagellack behandelt und  
der einen dann immer noch unter dem Nagel hervor angrinst, weil man  
ohne Badelatschen im Schwammbad war.  
Ist das ungefähr so? Ich hatte noch nie Fußpilz. Du gute Gartenerde,  
die liebenden Meerschweinchen und die ständig nuckelnden Kois  
haben dem wohl vorgebeugt.  
Oder einfach, dass meine Füße dermaßen hornhautbelastet sind, dass  
eine Hornisse mit ihrem Stachel da nicht durchkäme.  
Auf jeden Fall, Lisbeth und ich hatten beide Pilz. Sie hatte  
zellenbefallenen Pilz und ich ein wundervolles, glänzendes Studium.  
Mit Pilz.  
Wir beschlossen also, auf die übliche Weise gegen den Pilzbefall  
vorzugehen: mit einem ausgedehnten Spaziergang. Zwischen Sturm  
und Kälte und Schniesel (eine ominöse Mischung zwischen Schnee  
und Niesel, die nicht nieselig genug ist, um Graupel zu sein). Wir sind  
beide hartgesottene Küstenkinder. Wir kommen zwar nicht von der  
Küste, aber wir sind hart im Nehmen. Härter im Nehmen als die  
wahren Küstenkinder. Die Kälte hassen. Und Regen. Und Möwen. Und  
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keinen Fisch essen. Und nicht schwimmen gehen. Aber schwimmen  
können. Worauf sie bestehen.  
Wenn Lisbeth und ich spazieren gehen, dann ist das eine zweistündige  
Kur zwischen Natur, Stadt und Hafen. Eine zweistündige Kur bei der  
wir über alles reden, was uns in den Sinn kommt, und wenn die  
Stimmung doch mal zu gedrückt wird, kramt Lisbeth in ihrem  
Anekdotenkästchen und holt die besten Anekdoten überhaupt raus. Ich  
weiß nicht wie, ich bin mir nicht einmal sicher, ob Lisbeth sich wirklich  
lustig findet, aber wenn sie anfängt, aus ihrem Leben zu erzählen, will  
ich mich am liebsten auf dem Boden kugeln. Dabei passiert aktuell bei  
ihr ähnlich viel wie bei mir. Sie studiert halt. Und nebenbei versucht sie  
krampfhaft, ihre Zellen von Pilzen fernzuhalten. Aber irgendwo in der  
Heimat, wie sie ganz nebenbei fallenlässt, hat die Großmutter sich den  
Arm gebrochen, weil sie über ihre eigenen Füße gefallen ist.  
Wenn ich das erzähle, klingt es tragisch und echt unlustig. Wenn  
Lisbeth das erzählt? Ein Fall für Loriot.  
Was eventuell vielleicht daran liegen könnte, dass sie in ihrem Leben  
mehr Loriot geschaut hat als ich in die Röhre.  
Das sind so die besten Momente des Studiums: Wenn man seine  
Ruhe hat und sich über das echauffiert, was einem aktuell angetan  
wird. In Lisbeths Fall Klausuren. In meinem Fall … öhm … joa, was  
eigentlich? Ich denke, es sind die Professoren. Es sind immer die  
Professoren. Wenn jemand Schuld daran hat, dass einem langweilig  
wird, dann sind es die Lehrer gewesen und wenn die Lehrer nach  
ihrem Studium fleißig geblieben sind, schimpfen sie sich halt anders.  
Die Professoren meckern hier, die Professoren meckern dort, die  
Professoren geben uns diese ellenlangen Texte auf, die Professoren  
verlangen dieses Referat.  
Lisbeth nickt in solchen Moment immer nachdenklich, ehe sie  
irgendeine wichtige Info aus ihrem Studium fallenlässt. Beispielsweise  
die, dass ein Stück dunkle Schokolade, regelmäßig eingenommen, den  
Blutdruck senken kann.  
Meistens endet der Spaziergang mit einem Eis oder einer heißen  
Waffel. Obwohl ich auf die letzte heiße Waffel eher mit Bedauern  
zurückblicke.  
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Mein Bäuchlein hatten wir bereits thematisiert, oder? Dass es nichts  
verträgt außer Liebe und Rotwein, wobei ich keinen Rotwein trinke, von  
dem also in meinem Bäuchlein nur Luft ankommt. Luft und Liebe. Das  
mag mein Magen am liebsten. Am besten mit einem Hauch von  
Vorsicht und schon badet er in allem, was man ihm darbietet.  
Naja, Lisbeth und ich haben nach einem unserer eisigen Spaziergänge  
eine heiße Waffel gegessen und die war nicht ganz durch und danach  
und während des Essens habe ich es gewagt, mich zu bewegen und  
mein Magen hat alle erdenklichen Krallen ausgefahren, die er besitzt,  
und mir fauchend gegen die Bauchdecke gepikt.  
Als hätte man mir Vivis Kater zwischen die Gedärme gesteckt und als  
würde Vivi ihn in meinem Körper Insektenfangen spielen lassen. Was  
wirklich simpel das ist: Sie hält den Kater im Sommer fest und geht mit  
ihm die Wände ab. Er frisst gern Insekten. Vivi hat gern eine Wohnung  
ohne Insekten. Die perfekte Symbiose, wenn ihr mich fragt. Die  
perfekte Symbiose zwischen Mensch und Tier. Das Tier räumt auf, der  
Mensch gibt Futter und Obdach.  
Verdammt, ich sollte meine Mäuse gegen eine Katze tauschen.  
Aber, nein, ich war bei Lisbeth und unseren bissigen Waffeln. Und dem  
Ende unseres Spaziergangs.  
Es ist so: Was auch immer ich mit meinen Freunden mache, wiederholt  
sich zu fast jeder Gelegenheit auf genau die gleiche Art und Weise.  
Mich macht das wahrscheinlich spießig und setzt mir eine fette  
Hornbrille auf, aber damit fühle ich mich mit einem gigantischen  
Abstand am wohlsten. Mit diesem Wissen, dass, egal was die Welt  
gerade dreht, wir zwei Stunden spazieren gehen, zum Schluss  
irgendwas essen, was mir den Magen umdreht, nach Hause gehen,  
Wochen nichts voneinander hören, spazieren gehen und zum Schluss  
irgendwas essen, was mir den Magen umdreht. Ob wir nun ein  
Pilzproblem haben oder nicht!  
Kein Schwamm Drüber. Ich lieb´s. Das muss nichts sauberpoliert  
werden.  
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Geschwister im Studium  
Hin und wieder stellt man auch als Student fest, dass man kein  
Einzelkind ist. Spätestens, wenn die Geschwister fragen „He, können  
wir mal wieder eine Geschwisterwoche machen?“  
Geschwisterwochen sind toll. Vor allem, wenn man sie in die  
Vorlesungszeit legen kann. Mein kleiner Bruder, das süße Phlopsy, hat  
einen Narren daran gefressen, mit in meine Veranstaltungen zu  
kommen, und zumindest der Sehr geehrte Herr Prof. Dr. Neumann  
scheint diese kindlichen Sympathien zu erwidern. Ein kleiner Knirps  
von 12 Jahren, der sich für Geschichte interessiert. Es gibt noch  
Hoffnung!  
Phlopsy habe ich von Veranstaltung zu Veranstaltung geschleppt und  
wenn mir eine Veranstaltung besonders auf den Geist ging, habe ich  
ihm eine halbe Stunde lang erklärt, was er wissen muss, und dann hat  
er mit mir gemeinsam meine Kommilitonen ein winziges bisschen  
Gepiesackt.  
Zum Beispiel das eine Seminar zu mittelalterlichen Urkunden. Es ging  
eigentlich nur darum, dass man liest, was da steht. Ja, alte Schrift,  
aber, komm, wir haben alle Augen im Kopf und nach einigen Wochen  
muss sich das Schriftbild doch so ein bisschen eingebrannt haben!  
Ich schnappe mir also Phlopsy, um meinen Standpunkt, wie dämlich  
das alles ist, unschuldig zu unterstreichen, erklärte ihm kurz, welcher  
Buchstabe sich wie über die Jahrhunderte verändert hat, und lehnte  
mich dann grinsend zurück, als Phlopsy meinen Kommilitonen begann  
den Text vorzulesen.  
Ich befürchte, währen Phlopsy und ich gleichalt und würden zur  
gleichen Zeit studieren, man, wir würden gehasst werden. Nicht auf die  
gute alte „mit denen reden wir nicht“-Art, sondern auf die russische Art.  
Ein wenig Gift in der Limonade hat noch niemandem geschadet.  
Phlopys hat mir die Veranstaltungen, die wir gemeinsam hatten,  
wahrscheinlich ähnlich versüßt wie ich Lisbeth die Veranstaltungen, zu  
denen ich mich ihr unschuldig grinsend an die Fersen geheftet habe.  
Weil es wichtig ist viel zu lernen und die Medis die coolsten sind und es  
echt witzig ist, wenn man zwischen den Medis sitzt und darauf wartet,  
hoffentlich nicht rangenommen zu werden. Weil ich nur sagen kann,  
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dass aus dem Wolff-Gang die Nieren herausgebildet werden. Bei dem  
ganzen hochkomplexen Lateinzeug?  
Nur, weil ich mein Latinum ziemlich überzeugend abgeschlossen habe,  
bedeutet das noch lange nicht, dass ich Latein kann. Latein ist doof  
und die treffen sich immer auf dem Forum. Solange man also den  
Namen und den Ort rausfiltert, ist bis Cicero die Sache geritzt und was  
schlechteres als eine Zwei kann die Übersetzung gar nicht werden.  
Es sei denn, man hat die Lateinlehrerin gehabt, die fest daran glaubte,  
dass Latein noch die Welt retten wird. Da hätten meine Skills  
vermutlich nur bis zu einer vier Minus oder weniger gereicht.  
Phlopsy scheint währenddessen einen Narren an der Uni gefressen zu  
haben. Und ich kann es verstehen. Wirklich! Endlich ist man einer von  
13.000, es kennt zwar jeder früher oder später deinen Namen, aber  
eigentlich juckt es die Leute eher weniger, was du machst. Solange du  
gute Leistungen bringst und zu ihnen nett bist.  
Wobei jeder nett anders definiert.  
Auch Lucksy, mein süßes, kleines Schwesterchen, habe ich hin und  
wieder in meine Unistadt entführt. Allerdings, befürchte ich, sind bei  
uns beiden weniger coole Vorlesungen in Erinnerungen geblieben als  
viel mehr die Woche, in der ich saumäßig krank war und Lucky  
gemästet habe. Nicht, weil ich sie hassen würde. Sondern weil sie  
nicht auf meine wundervollen „Lass uns in den Zoo gehen“, „lass uns  
ins Kino gehen“, „lass uns nach Warnemünde fahren“-Angebote  
eingegangen ist, sondern meine Gesundheit schonen wollte und sich  
somit ins Futtern gerettet hat.  
Wenn man Phlopsy futtern lässt, was er will, dann ist er wie meine  
Mäuse: ein bisschen was gern, aber wenn er satt ist, dann ist er satt  
und dann bekommst du da auch auf Gedeih und Verderb nichts mehr  
rein in diese Bohnenstange.  
Wenn man Lucksy futtern lässt, was sie will, hält sie es wie ich: alles  
sehr lecker, wir sind unter normalen Umständen fünf Personen im  
Haus, wir sollten und das Zeug sichern, solang wir können, und da wir  
fünf Personen im Haus sind, ist das Futter nur in unserer Magensäure  
angemessen gesichert.  
Lucky ist es gelungen, binnen von einer Woche drei Kilo zuzunehmen.  
Was jetzt vielleicht weniger Wow klingt, als es ist. Lucky ist so ein  
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durchtrainiertes Kerlchen von der Instyle-Sportseite und wiegt  
inzwischen bestimmt schon überzeugende fünfzig Kilo. Lucky nimmt  
nicht zu. Niemals. Die isst sich eher selbst auf, als dass sie zunimmt.  
Naja. Die ruhigen Seiten der Uni haben ihr ein kleines Fettpölsterchen  
auf die Hüften gezaubert, die Lucky jammernd und fluchend und  
schimpfend wieder abtrainiert hat.  
Danach, wer hätte es gedacht, hatte ich ein wenig luckyfrei. Weil ich  
sie ja nur mästen würde.  
Wir haben leicht verschiedene Ansichten über die Woche. Ich beharre  
auf meinen Angeboten, eine Runde zu drehen, Lucky beharrt darauf,  
dass ich so saumäßig aussah, dass man mich nicht vor die Tür hätte  
lassen können, aber ich bleibe dabei, dass ich bestimmt einen  
Zoospaziergang auf die Ketten bekommen hätte.  
Aber, was soll´s. Schwamm Drüber! Lucky hat sich von dem  
Kiloschock erholt, die Dozenten haben sich von dem Phlopsyschock  
erholt und ich? Ich erhole mich von meinen Geschwistern, während ich  
dieses Kapitel verfasse. Prösterchen.  
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Mit Tequila in der Blutbahn kannst du tanzen wie ein Truthahn  
Die Überschrift, das ist die Aufschrift einer Postkarte, die in Lisbeths  
Küche hängt. Wäre ich ein vernunftbegabter Mensch, hätte ich das zu  
meinem Lebensmotto gemacht.  
Einige Unimomente sollte man nur stockbesoffen erleben müssen.  
Beispielsweise wenn der Prof mal wieder sein eigenes Buch bewirbt.  
Oder wenn Objektivität (nein, wir diskutieren hier nicht, wie objektiv  
möglich Objektivität ist) zu Subjektivität wird und recht witzig  
anzusehen ist, wenn man in die Situation nicht involviert ist.  
Kurzes Beispiel: Studi stellt Entwurf vor. Dozent findet Entwurf gut und  
gibt kleine Verbesserungsratschläge dazu. Studi arbeitet Vorschläge  
ein. Dozent findet den Entwurf großartig. Studi geht schlafen. Dozent  
verabscheut den Entwurf. Studi stellt einen neuen Entwurf auf. Dozent  
liebt den Entwurf. Studi geht schlafen. Dozent liebt den Entwurf. Studi  
hält Stunde. Dozent hasst den Entwurf und schwört, ihn niemals  
abgesegnet zu haben.  
Ich schwöre euch, es gibt nichts Witzigeres, als dabei zuzusehen, wie  
diese Irrungen und Wirrungen zwischen Studi und Dozent eine Suppe  
zum Kochen bringen, die dem Joker nicht nur ein Grinsen ins Gesicht  
gebrannt hätte, sondern Hellboy in den Himmel hätte befördern  
können.  
Oder, wartet, noch ein toller Unimoment: Wenn man die eMails nicht  
gecheckt hat und dann feststellt, dass der Kurs ausfällt.  
Momente, in denen ich zurück nach Hause ging, an dem Cannabis-  
Bier-Laden vorbeispazierte und in meinem Kopf sich nur abspielte „Mit  
Tequila in der Blutbahn kannst du tanzen wie ein Truthahn.“  
Leuts, ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir verdammt glücklich  
darüber sein können, dass ich einen ganzen Besenstiel in meinem  
niedlichen Popöchen habe. Sonst, ich sag es euch, sonst wäre ich  
nicht nur der provokante Spießer in der zweiten Reihe gewesen, der zu  
seiner persönlichen Belustigung Thesen in den Raum wirft, die  
irgendwo unhaltbar sind, aber doch interessant genug, damit sich viele,  
viele Menschen darüber den Mund zerreißen. Freiwillig. Freiwillig  
diskutieren! Ohne, dass es bewertet wird. Was ist denn das? Das  
müssen diese motivierten Studenten sein, von denen alle reden.  
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Nein, wäre ich weniger spießig, ich wäre das ein oder andere Mal auf  
den Tisch gesprungen und hätte die Langeweile weggesteppt. Daran  
gedacht habe ich allemal. Tausendfach. Manchmal ist die  
Hemmschwelle sogar ohne Alkohol besorgniserregend tief gesunken.  
Wann immer der Prof so viel wiederholt hat, dass ich am liebsten mit  
der Stirn auf den Tisch gehämmert hätte, bis ich die vorherige Sitzung  
vergessen habe und mich voll und ganz auf die Wiederholung als  
etwas völlig Neues konzentrieren kann.  
Das Studium, ja, das ist schon eine witzige Angelegenheit. Es existiert  
zwar nicht, um zu unterhalten, aber, sind wir mal ehrlich, würden wir  
das Geschehen nicht gemeinschaftlich ins Lächerliche ziehen, würden  
wir längst heulend in der Ecke sitzen und dafür beten, dass jemand die  
Uni abfackelt.  
Wie früher, wenn man eine Mathearbeit schreiben musste. Nicht  
gelernt hat. Weil man einfach keine Motivation hatte. Man bin ich.  
Es hat nie jemand die Schule abgefackelt und es hat nie jemand die  
Uni abgefackelt und selbst wenn jemand die Uni abgefackelt hätte,  
wären die Seminare einfach in den Hinterhof bei strömendem Regen  
verlegt worden.  
Wir sollen uns schließlich nicht so haben. Wir sind hier an der Küste  
und alle nicht aus Zucker und wir sollen uns gefälligst zu dem  
Forschungsabend bewegen. Der ist toll!  
Wie toll genau diese Forschungsabende sind, das kann ich nicht  
beurteilen, weil, naja, ich sie geschwänzt habe wie die Spieleabende,  
die Partys, die Vorlesungen, die Rauchgelage nach den Vorlesungen.  
Aber augenscheinlich sind diese Forschungsabende öde genug  
gewesen, damit nicht einmal meine Kommilitonen da hingegangen sind  
und das? Das ist ein winziges Unizeugnis. Das zeigt ziemlich genau,  
was dabei rauskommt, wenn Profs Unterhaltung verfassen.  
Oder ihr Seminar nach ihrem Buch konzipieren dürfen. Oder dem Buch  
ihres Kumpels. Damit man fünfzehn Wochen darüber spricht, was  
Kleist in Kapitel sechzehn geschrieben hat. Oder warum ein  
Bindestrich die Literaturszene verändert hat.  
Ne, im Ernst, ich liebe die Uni. Ich find sie toll. Die grenzdebilen Leute  
da (man sagt immer, wenn man als einziger seltsam ist, dann liegt es  
an einem selbst, aber Ausnahmen bestätigen die Regel und ich  
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beabsichtige voll und ganz die Regel zu bestätigen), die demotivierten  
Dozenten, die definitiv niemals und unter keinen Umständen  
unterrichtstauglichen Seminarthemen (die Agrargeschichte  
Mecklenburgs von 1900 bis 2000, jaja) oder die mehr oder weniger  
begeisterten Professoren, die sich von ihrem Leben entweder mehr  
Glamour oder mehr interessierte Studenten versprochen haben.  
Oder einfach weniger klugscheißende Idioten wie mich, die die Klappe  
nicht mehr aufbekommen, sobald sie ein winziges bisschen Respekt  
vor einem Prof haben. Was nicht oft passiert. Wenn aber doch, dann  
nachhaltig.  
Was die Profs definitiv trotz ihres glänzenden und mühevoll  
erarbeiteten Titels noch lernen müssen: Man soll aufhören, wenn es  
am schönsten ist. Und was ich als guter Studi verinnerlicht habe: das  
bis zum Erbrechen ausgewrungene Handtuch zu schmeißen, bevor die  
Sache unerträglich wird.  
Also danke fürs Lesen und, ja, bis zum nächsten Mal. Bis es Zeit wird,  
dass der Schwamm drunter gelegt wird oder so.  
Eure über sich selbst überaus amüsierte und sich zutiefst selbst  
feiernde Cel  
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